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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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ramponierte Betonpfeiler mit rechteckigen Platten am oberen Ende ragten aus dem aufgewühlten Wasser. Das war alles, was von der Shorter Way Bridge übrig war.
    V ic begriff nicht. Gerade eben noch war sie über die Brücke gefahren, hatte das alte, verrottende, von der Sonne erwärmte Holz gerochen und den Gestank nach Fledermauspisse. Ihre Reifen waren über die Holzbretter gerattert.
    Sie spürte das Pochen hinter ihrem linken Auge. Sie schloss es und rieb mit der Handfläche darüber. Und als sie es wieder öffnete, glaubte sie einen Moment lang die Brücke zu sehen. Ein Nachbild, ein grelles Flimmern in Gestalt einer Brücke, das zum anderen Ufer hinüberführte.
    Aber das Nachbild verschwand sofort wieder, und ihr linkes Auge tränte. Außerdem war sie viel zu müde, um sich lange Gedanken darüber zu machen, was mit der Brücke geschehen war. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so sehr nach ihrem Zuhause gesehnt, ihrem Zimmer, ihrem Bett, den frischen Laken.
    Sie stieg auf ihr Rad, kam aber nur ein paar Meter weit, bevor sie aufgab und es mit gesenktem Kopf schob. Die Haare hingen ihr ins Gesicht. Der Armreif ihrer Mutter schaukelte locker an ihrem verschwitzten Handgelenk, aber sie bemerkte es kaum.
    V ic schob das Fahrrad über das vergilbte Gras hinter ihrem Elternhaus, vorbei an dem Klettergerüst, das sie nicht mehr benutzte. Die Ketten der Schaukel waren völlig verrostet. Sie legte ihr Fahrrad in der Einfahrt ab und ging ins Haus. Sie wollte direkt in ihr Zimmer, sich hinlegen und ausruhen. Aber dann hörte sie ein leises Geräusch in der Küche und schwenkte in diese Richtung um, weil sie sehen wollte, wer sich dort aufhielt.
    Es war ihr V ater. Er stand mit dem Rücken zu ihr, eine Dose Stroh’s in der Hand. Die andere hielt er, zur Faust geballt, an der Spüle unter kaltes Wasser.
    V ic war sich nicht sicher, wie lange sie fort gewesen war. Die Uhr am Backofen war keine Hilfe. 12:00 blinkte es dort wieder und immer wieder, als wäre die Uhr gerade auf null gestellt worden. Es brannte kein Licht, und nachmittägliche Schatten breiteten sich in dem kühlen Raum aus.
    »Papa«, sagte sie mit müder Stimme, die sie selbst kaum wiedererkannte. »Wie spät ist es?«
    Ihr V ater sah auf die Uhr am Backofen und schüttelte dann den Kopf.
    »Keine Ahnung. V or etwa fünf Minuten ist der Strom ausgefallen. Ich glaube, die ganze Straße liegt im …« In diesem Moment sah er zu ihr hinüber und hob fragend die Augenbrauen. »Was ist los? Alles in Ordnung?« Er drehte den Wasserhahn zu und nahm sich ein Geschirrhandtuch, um sich die Hand abzutrocknen. »Du siehst ein bisschen blass aus.«
    Sie lachte angespannt und humorlos. »Genau dasselbe hat Pete auch gesagt.« Ihre Stimme schien von weit her zu kommen – vom Ende eines langen Tunnels.
    »Welcher Pete?«
    »Der aus Hampton Beach.«
    » V ic?«
    »Mir geht es gut.« Sie versuchte zu schlucken, aber es gelang ihr nicht. Sie war furchtbar durstig, wenngleich ihr das erst aufgefallen war, als sie ihren V ater mit einem kühlen Getränk in der Hand gesehen hatte. Sie schloss kurz die Augen und sah ein Glas eisgekühlten Grapefruitsaft vor sich. Jede Faser ihres Körpers schien sich danach zu sehnen. »Ich bin bloß durstig. Haben wir Saft da?«
    »Tut mir leid, aber der Kühlschrank ist ziemlich leer. Deine Mutter war noch nicht einkaufen.«
    »Hat sie sich hingelegt?«
    »Weiß ich nicht«, sagte er. Es klang nach: Das ist mir so was von egal.
    »Okay«, sagte V ic. Sie nahm den Armreif ab und legte ihn auf den Küchentisch. »Wenn sie aufsteht, sag ihr, dass ich ihren Armreif gefunden habe.«
    Er schlug die Kühlschranktür zu und drehte sich um. Sein Blick richtete sich erst auf den Armreif und dann auf sie.
    »Wo …?«
    »Im Auto, zwischen den Sitzen.«
    Im Raum wurde es dunkel, als wäre die Sonne hinter Wolken verschwunden. V ic schwankte.
    Ihr V ater legte ihr einen Handrücken an die Wange, die Hand, in der er die Bierbüchse hielt. An der anderen hatte er sich die Knöchel aufgeschlagen. »Mein Gott, du glühst ja. He, Lin? «
    »Mir geht es gut«, versicherte V ic ihm. »Ich muss mich nur ein bisschen hinlegen.«
    Sie wollte sich zwar hinlegen, aber nicht gleich hier in der Küche. Sie hatte in ihr Zimmer gehen und es sich unter ihrem schicken neuen David-Hasselhoff-Poster auf ihrem Bett gemütlich machen wollen – doch ihre Beine gaben nach, und sie sank zu Boden. Ihr V ater fing sie auf, bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnte. Er hob sie

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