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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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alte Baumwollshorts und ihre Tätowierungen. In der Dunkelheit waren die Tätowierungen nicht so gut zu erkennen. Es sah aus, als würde die Nacht selbst an ihrer Haut kleben. Wayne hatte schon immer gewusst, dass seine Mutter eine gewisse Düsternis mit sich herumtrug.
    Hooper war draußen bei ihr und lief mit nassem, tropfendem Fell um ihre Beine herum. Offenbar hatte er gerade im See gebadet. Wayne brauchte einen Moment, bis ihm aufging, dass das gar nicht sein konnte, weil Hooper doch neben ihm stand. Aber als Wayne sich umschaute, stellte er fest, dass er allein war.
    Er dachte nicht weiter darüber nach. Dazu war er noch zu müde. V ielleicht hatte ein Traumhund ihn geweckt. Oder er wurde auch verrückt, so wie seine Mutter.
    Er zog sich eine kurze Hose an und ging in den kühlen Morgen hinaus. Seine Mutter arbeitete am Motorrad, in der einen Hand einen Lappen und in der anderen ein seltsames Werkzeug, einen speziellen Schraubenschlüssel, der eher wie ein Haken oder ein gebogener Dolch aussah.
    »Wie bin ich in dein Bett gelangt?«, fragte er.
    »Albtraum«, sagte sie.
    »Daran erinnere ich mich gar nicht.«
    »Du hast ihn ja auch nicht gehabt«, sagte sie.
    Dunkle V ögel flogen durch den Dunst, der über die Oberfläche des Sees kroch.
    »Hast du das kaputte Zahnrad gefunden?«, fragte Wayne.
    »Woher weißt du, dass die Maschine ein kaputtes Zahnrad hat?«
    »Keine Ahnung. Es klang nur vorhin so, als du versucht hast, sie anzulassen.«
    »Warst du viel mit deinem V ater in der Werkstatt? Hast ihm bei der Arbeit geholfen?«
    »Manchmal. Er sagt immer, dass ich nützlich bin, weil ich so kleine Hände habe. Ich kann Sachen losschrauben, an die er nicht rankommt. Dinge auseinanderzunehmen ist meine Spezialität. Nur mit dem Zusammensetzen klappt es nicht so gut.«
    »Willkommen im Klub«, sagte sie.
    Sie arbeiteten gemeinsam an dem Motorrad. Wayne hätte nicht sagen können, wie lange. Aber als sie aufhörten, war es bereits heiß, und die Sonne stand hoch über den Bäumen. Während der Arbeit sprachen sie kaum. Aber das war in Ordnung. Wozu ihre schweißtreibenden Bemühungen, das Motorrad zu reparieren, mit Gesprächen über Gefühle, über seinen V ater oder über Mädchen ruinieren?
    Irgendwann setzte Wayne sich auf die Fersen und betrachtete seine Mutter. Sie hatte überall Schmiere, an den Unterarmen und auf der Nase, und an ihrer rechten Hand waren mehrere blutige Kratzer. Wayne, der gerade mit Stahlwolle das rostige Auspuffrohr abgeschmirgelt hatte, sah an sich hinunter. Er war genauso schmutzig wie sie.
    »Ich weiß nicht, wie wir je wieder sauber werden sollen«, sagte er.
    »Im See«, sagte sie, warf ihr Haar zurück und deutete mit dem Kopf darauf. »Ich sag dir was. Wenn du als Erster beim Floß bist, lad ich dich zum Frühstück im Greenbough Diner ein.«
    »Und wenn du gewinnst? Was springt für dich dabei raus?«
    »Die Genugtuung, dass ich alte Frau noch gegen einen Pimpf ankomme.«
    »Was ist ein Pimpf?«
    »Das ist ein …«
    Aber er rannte schon los, riss sich das Hemd vom Leib und warf es Hooper an den Kopf. Waynes Arme und Beine hoben und senkten sich schnell und mühelos, und seine nackten Füße durchfurchten das tauglänzende Gras.
    Dann war plötzlich seine Mutter an seiner Seite und streckte ihm im Laufen die Zunge heraus. Sie kamen gleichzeitig am Bootssteg an. Ihre Füße polterten über die Bretter.
    Auf halbem Wege den Steg hinunter gab seine Mutter ihm plötzlich einen Schubser. Er hörte sie lachen, während er mit rudernden Armen das Gleichgewicht verlor und in das trübe grüne Wasser fiel. Kurz darauf sprang sie mit einem leisen Platschen vom Ende des Stegs in den See.
    Prustend kam er an die Oberfläche und kraulte mit weit ausgreifenden Armbewegungen auf das Floß zu, das sechs Meter vom Ufer entfernt auf dem Wasser schwamm. Es war eine große Plattform aus splittrigen grauen Holzbrettern, die auf ein paar rostigen Ölfässern ruhten. Das Ding sah aus wie eine schwimmende Umweltkatastrophe. Hooper befand sich auf dem Steg und bellte ungehalten. Er hatte grundsätzlich etwas dagegen, wenn jemand Spaß hatte, ohne dass er dabei im Mittelpunkt stand.
    Wayne war schon fast beim Floß angekommen, als ihm klar wurde, dass er allein auf dem See war. Das Wasser sah aus wie eine große schwarze Glasscheibe. Seine Mutter war nirgendwo zu sehen.
    »Mama?«, rief er. »Mama?«
    »Du hast verloren«, sagte sie, und ihre Stimme klang tief und hohl.
    Er hielt den Atem an und tauchte

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