Christmasland (German Edition)
den Himmel, das Haus, alles erzitterte heftig und drohte auseinanderzubrechen. Sie hatte das Motorrad bereits auf die Straße ausgerichtet.
Jetzt setzte sie noch den Helm auf. Die Jacke trug sie offen.
Bevor sie die Handbremse lösen konnte, beugte ihr Sohn sich plötzlich vor und hob etwas auf, was vor dem Motorrad auf dem Boden lag.
» WAS IST? «, fragte sie.
Er reichte ihr den Gegenstand – es war der Schraubenschlüssel, der wie ein gebogenes Messer aussah. Sie nickte ihm dankend zu und schob ihn in eine Tasche ihrer Shorts.
» KOMM BITTE ZURÜCK «, sagte er.
» UND SEI DU BITTE HIER, WENN ICH ZURÜCKKOMME «, sagte sie.
Dann hob sie die Füße vom Boden, schaltete in den ersten Gang und rollte los.
Als sie sich in Bewegung setzte, hörte das V ibrieren auf. Der Holzzaun glitt zu ihrer Rechten vorbei. Sie lehnte sich in die Kurve, als sie auf die Straße einbog. Es war, als steuerte sie ein Flugzeug. Die Maschine schien den Asphalt unter ihren Reifen gar nicht zu berühren.
Sie schaltete in den zweiten Gang. Das Haus blieb hinter ihr zurück. Sie warf einen letzten Blick über die Schulter. Wayne stand in der Einfahrt und winkte. Hooper befand sich auf der Straße und sah ihr mit einem merkwürdig hoffnungslosen Blick hinterher.
V ic gab Gas und schaltete in den dritten Gang. Die Triumph machte einen Satz nach vorn, und sie musste sich am Lenker festhalten, um nicht hinunterzukippen. Das Bild eines Biker-T-Shirts, das sie einmal besessen hatte, blitzte in ihr auf. Auf dem Rücken stand: Wenn du das hier lesen kannst, ist meine Alte runtergefallen.
Die offene Jacke bauschte sich um sie herum, und V ic raste in den Bodennebel hinein.
Die beiden eng beieinanderstehenden Scheinwerfer, die hinter ihr trübe im Nebel aufleuchteten, bemerkte sie nicht.
Und Wayne ebenso wenig.
Route 3
B äume, Häuser und V orgärten rasten an ihr vorüber – dunkle, verschwommene Schemen, die im Nebel nur undeutlich zu erkennen waren.
Ihr Geist war leer. Das Motorrad befreite sie von allen überflüssigen Gedanken. Sie hatte gewusst, dass es dazu in der Lage war. Schon als sie es damals in der Remise entdeckt hatte, hatte sie gespürt, dass es schnell und kraftvoll genug war, um sie von dem schlimmsten Teil ihrer selbst wegzutragen, dem Teil, der darauf bestand, dass es für alles eine rationale Erklärung gab.
Mit dem Fuß schaltete sie einen Gang höher und dann noch einen, und die Triumph machte jedes Mal einen Satz nach vorn und verschlang die Straße unter sich.
Der Nebel wurde dichter und wehte ihr ins Gesicht, strahlend weiß und durchsichtig. V on irgendwo links oben fiel Sonnenlicht herab und brachte die ganze Welt zum Leuchten. Konnte es etwas Schöneres geben?
Die feuchte Straße zischte unter den Reifen, und ein leichter, beinahe sanfter Schmerz kitzelte ihren linken Augapfel.
Eine Scheune tauchte im wabernden Dunst auf, ein langes, schmales, leicht schiefes Gebäude. Durch den Nebel sah es so aus, als würde es sich kaum hundert Meter entfernt mitten auf der Straße befinden, obwohl V ic wusste, dass der Highway gleich eine Biegung nach links machen und daran vorbeiführen würde. Sie musste beinahe darüber lächeln, wie sehr die Scheune ihrer alten imaginären Brücke ähnelte.
V ic senkte den Kopf und lauschte dem Flüstern der Reifen auf dem feuchten Asphalt – ein Geräusch, das dem weißen Rauschen im Radio ähnelte. Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass das Rauschen von der kosmischen Hintergrundstrahlung herrührte.
Sie wartete darauf, dass die Straße nach links schwenken würde, aber sie führte weiter geradeaus. Das hohe, dunkle, rechteckige Gebilde vor ihr wurde immer größer, bis sie sich in seinem Schatten befand. Es war gar keine Scheune, und ihr fiel erst auf, dass die Straße direkt hineinführte, als es schon zu spät war, um abzudrehen. Der Nebel wurde dunkler und kälter – so als würde man in das Wasser des Sees eintauchen.
Mit einem Poltern, das wie schnelle Gewehrschüsse klang, raste das Motorrad über die Bretter. Plötzlich war der Nebel wie fortgeblasen. Sie sog die Luft ein, es stank nach Fledermäusen.
Mit dem Stiefelabsatz trat sie auf die Bremse und schloss die Augen. Das ist nicht real, flüsterte sie.
Das Bremspedal klappte nach unten weg, hielt einen Moment – und fiel dann ab. Mit einem tiefen, hohlen Poltern landete es auf den Brettern, gefolgt von einer Schraubenmutter und einigen Unterlegscheiben.
Der Schlauch mit der Bremsflüssigkeit klatschte
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