Christmasland (German Edition)
schluckte.
Hutter sagte leise, geduldig: » V ic, ich möchte, dass Sie bleiben, wo Sie sind.«
»Das kann ich nicht.«
»Sie müssen …«
»Nein. Seien Sie still. Hören Sie mir zu. Sie müssen ein Mädchen namens Michelle Demeter ausfindig machen. Sie lebt in Brandenburg, Kentucky. Ihr V ater wird schon seit Längerem vermisst. Wahrscheinlich macht sie sich furchtbare Sorgen. Er ist hier. Unten. Im Keller. Er ist tot. Und das schon seit ein paar Tagen, glaube ich. Haben Sie das notiert?«
»Ja, ich …«
»Behandeln Sie ihn bloß gut, verdammt noch mal. Wehe, Sie stecken ihn in irgendeiner Leichenhalle in so eine beschissene Schublade! Sorgen Sie dafür, dass jemand bei ihm bleibt, bis seine Tochter aufkreuzt. Er ist lange genug allein gewesen.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Ein Mann namens Bing Partridge hat ihn umgebracht. Das war der Typ mit der Gasmaske, der auf mich geschossen hat. V on dem Sie dachten, es gäbe ihn nicht. Er hat mit Manx zusammengearbeitet. Ich vermute, dass sie sich schon länger kannten.«
» V ic. Charlie Manx ist tot.«
»Nein. Ist er nicht. Ich habe ihn gesehen und Nathan Demeter auch. Demeter wird meine Geschichte bestätigen.«
» V ic«, sagte Tabitha. »Gerade haben Sie mir erklärt, Nathan Demeter sei tot. Wie soll er da Ihre Geschichte bestätigen? Jetzt beruhigen Sie sich erst mal. Sie haben eine Menge durchgemacht. Ich glaube, Sie haben …«
»Ich habe nicht den Bezug zur Wirklichkeit verloren, verdammt noch mal. Ich bilde mir nicht ein, dass ich mich mit einem Toten unterhalten habe. Demeter hat eine Nachricht hinterlassen, okay? Und darin nennt er den Namen Manx. Lou! Lou, bist du noch dran?«
»Ja, V ic. Ich bin hier. Alles in Ordnung?«
»Lou, ich habe heute Morgen mit Wayne gesprochen. Er lebt. Er ist am Leben, und ich werde ihn zurückholen.«
»Gütiger Himmel«, sagte Lou mit heiserer Stimme. Er kämpfte mit den Tränen. »Gütiger Himmel. Was hat er gesagt?«
»Er ist unverletzt«, erwiderte sie.
» V ictoria«, sagte Tabitha Hutter. »Wann haben Sie …«
»Warte mal!«, rief Lou. » V ic. Das kriegst du allein nicht hin. Diese Brücke kannst du nicht allein überqueren!«
V ic hielt inne und konzentrierte sich, so als würde sie mit einem Gewehr ein weit entferntes Ziel anvisieren, und sagte so ruhig und deutlich wie möglich: »Hör mir gut zu, Lou. Ich muss noch eine Zwischenstation einlegen, und dann statte ich jemand einen Besuch ab, der mir ANFO besorgen kann. Mit dem richtigen ANFO kann ich Manx’ Welt von der Landkarte blasen.«
»Was für eine Info?«, wollte Tabitha Hutter wissen. » V ictoria, Lou hat recht. Damit werden Sie allein nicht fertig. Gehen Sie zur Polizei. Gehen Sie zur Polizei, und reden Sie mit uns. Wem wollen Sie einen Besuch abstatten? Was für Informationen benötigen Sie?«
Lous Stimme klang rau und gefühlsgeladen. » V erschwinde von dort, V ic. Für solchen Pferdeschiss haben wir jetzt keine Zeit. Sie kommen, um dich zu holen. Mach, dass du wegkommst, und tu, was du tun musst.«
»Mr. Carmody?«, sagte Tabitha, und ihre Stimme klang plötzlich angespannt. »Mr. Carmody?«
»Bin schon weg, Lou. Ich liebe dich.«
»Ich dich auch«, sagte er. Ihm war anzuhören, wie nahe ihm das alles ging. Lange würde er nicht mehr durchhalten.
Sie legte den Hörer ganz sanft auf die Gabel.
Er hatte ihr etwas sagen wollen, und sie glaubte zu wissen, was es war. Für solchen Pferdeschiss haben wir jetzt keine Zeit, hatte er gesagt, ein Satz, der in dem Zusammenhang fast einen Sinn ergab. Aber nur fast. Er hatte eine weitere Bedeutung, aber niemand außer V ic wäre in der Lage gewesen, sie zu entschlüsseln. Pferdescheiße: ein wesentlicher Bestandteil von ANFO , der Substanz, die ihr V ater jahrzehntelang verwendet hatte, um Felsen wegzusprengen.
Sie hinkte auf ihrem verletzten linken Bein zur Spüle, ließ kaltes Wasser laufen und spritzte es sich mit den Händen ins Gesicht. Blut und Dreck bildeten im Abfluss einen hübschen rosafarbenen Wirbel. V ic war von Kopf bis Fuß mit den Überresten des Gasmaskenmanns bedeckt. Ihr T-Shirt war blutbesudelt, von ihren Armen und Haaren ganz zu schweigen. In der Ferne hörte sie das Heulen einer Polizeisirene. Sie hätte duschen sollen, bevor sie Lou angerufen hatte. Und das Haus nach einer Pistole absuchen. Wahrscheinlich brauchte sie eine Pistole nötiger als ein Shampoo.
Sie stieß das Fliegengitter vor der Hintertür auf und ging vorsichtig die Treppe hinunter. Dabei achtete sie
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