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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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verarbeiten. Kinder dagegen betrachteten das Rätsel nie als Ganzes. Sie versetzten sich in Search Engine hinein, als befänden sie sich mitten in der Geschichte. Sie sahen immer nur das, was er gerade sehen konnte. Der Unterschied zwischen Kindheit und Erwachsenenalter entsprach dem zwischen Imagination und Resignation. Man tauschte das eine gegen das andere ein … und verirrte sich.
    V ic hatte längst begriffen, dass sie Manx überhaupt nicht finden musste – was im Übrigen auch so hoffnungslos gewesen wäre wie der V ersuch, einen fliegenden Pfeil mit einem anderen treffen zu wollen. Er glaubte, dass sie versuchen würde, ihn mithilfe der Brücke einzuholen. Aber das brauchte sie gar nicht. Sie wusste ja, wohin er unterwegs war. Wohin er unterwegs sein musste . Und sie konnte sich dorthin begeben, wann immer sie wollte.
    Doch sie durfte nichts überstürzen. Das Christmasland war ein ganzes Stück entfernt, in jeder Hinsicht.
    Wenn sie Manx gegenübertreten wollte, musste sie kampfbereit sein. Sie würde ihn höchstwahrscheinlich töten müssen, also musste sie wissen, wie. Und was noch weit wichtiger war: Wie würde sich Wayne verhalten? Würde er noch er selbst sein, wenn er das Christmasland erreicht hatte? Und konnte man das, was ihm widerfahren war, rückgängig machen?
    V ic kannte jemand, der ihr erklären konnte, was mit Wayne los war, und sie kannte jemand, der ihr beibringen konnte zu kämpfen. Jemand, der ihr helfen würde, die einzige Sache zu zerstören, die Manx etwas bedeutete. Doch auch diese Menschen waren noch ein ganzes Stück entfernt. V ic würde beiden einen Besuch abstatten. Bald.
    Aber eins nach dem anderen. Ein Mädchen namens Michelle Demeter hatte ihren V ater verloren, und sie musste erfahren, was mit ihm passiert war. Sie lebte schon viel zu lange im Ungewissen.
    V ic warf einen prüfenden Blick zum Fenster hinaus – dem Einfallswinkel des Lichts nach war es später Nachmittag. Der Himmel glich einer tiefblauen Kuppel; das Gewitter, das sich bei ihrer Ankunft zusammengebraut hatte, war offenbar weitergezogen. Falls einer der Nachbarn die Explosion der Sevofluranflasche gehört hatte, musste er es für Donnergrollen gehalten haben. Sie war vermutlich drei, vielleicht vier Stunden bewusstlos gewesen. Sie schaute den Stapel Umschläge durch, der auf der Küchentheke lag. Die Post war adressiert an:
    BING PARTRIDGE
    25 BLOCH LANE
    SUGARCREEK, PENNSYLVANIA 16323
    Dafür würde sich nur schwer eine Erklärung finden lassen. V on New Hampshire nach Pennsylvania gelangte man unmöglich in vier Stunden, nicht einmal mit durchgetretenem Gaspedal. Da fiel ihr ein, dass sie es überhaupt nicht erklären musste. Darum konnten sich andere Leute kümmern.
    Sie wählte. Die Nummer kannte sie auswendig.
    »Ja?«, sagte Lou.
    Sie war sich nicht sicher gewesen, ob Lou abnehmen würde – eigentlich hatte sie Hutter erwartet. Oder vielleicht sogar den hässlichen Bullen mit den buschigen weißen Augenbrauen, Daltry. Sie konnte ihm sagen, wo er sein Feuerzeug finden würde.
    Als sie Lous Stimme hörte, bekam sie weiche Knie, und für einen Augenblick verlor sie alle Entschlossenheit. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihn nie so geliebt hatte, wie er es verdiente – und dass er sie immer mehr geliebt hatte, als sie es verdiente.
    »Ich bin’s«, sagte sie. »Hört jemand mit?«
    »Ach, verdammt, V ic«, sagte Lou. »Was glaubst du denn?«
    Tabitha Hutter sagte: »Ich bin hier, V ic.« Offenbar hatte sie nach dem Hörer gegriffen, um das Gespräch an sich zu reißen. »Ihretwegen herrscht hier eine ganz schöne Aufregung. Möchten Sie darüber reden, warum Sie weggelaufen sind?«
    »Ich suche nach meinem Sohn.«
    »Ich weiß, dass Sie mir einiges verschwiegen haben. V ielleicht hatten Sie Angst, mir davon zu erzählen. Aber jetzt muss ich es erfahren, V ic. Was immer Sie in den letzten vierundzwanzig Stunden getan haben – sicherlich sind Sie überzeugt, dass Sie keine andere Wahl hatten. Und dass Sie das Richtige getan haben …«
    » V ierundzwanzig Stunden? Was soll das heißen … vierundzwanzig Stunden?«
    »So lange suchen wir schon nach Ihnen. Sie haben sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Irgendwann müssen Sie mir erklären, wie Sie das gemacht haben. Warum erzählen Sie mir nicht, wo …«
    » V ierundzwanzig Stunden sind vergangen?«, rief V ic. Die V orstellung, dass sie einen ganzen Tag verloren hatte, war genauso unglaublich wie ein Wagen, der statt bleifreiem Benzin menschliche Seelen

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