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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Blatt Briefpapier und las sie dann noch einmal durch. Gut. Sie verspürte ein ungewohntes Gefühl tiefer Befriedigung.
    Sie steckte ihre Buchstaben einen nach dem anderen zurück in den Beutel. Ihre Brust pochte – jetzt hatte der Schmerz nichts Erhabenes mehr. Sie griff nach ihren Zigaretten, allerdings nicht, um sich noch einmal zu verletzen, sondern nur, um eine zu rauchen.
    In dem Moment betrat ein Junge mit einer Wunderkerze die Kinderbibliothek.
    Sie sah ihn durch das verschmierte Glas des alten Aquariums, eine dunkle Gestalt vor dem fahlen Hintergrund der leeren Bücherregale. Während er durch den Raum ging, schwenkte er den rechten Arm, und die Wunderkerze zeichnete eine rote Linie in das Halbdunkel. Er war nur einen Moment lang da, und dann verschwand er zusammen mit seiner zischenden Fackel außer Sichtweite.
    Maggie beugte sich vor, um gegen das Aquarium zu klopfen und ihn zu verjagen, aber dann dachte sie an V ic, und sie hielt inne. Hier brachen öfters Kids ein, um Böller zu werfen oder zu rauchen und die Wände mit Graffiti zu beschmieren, was Maggie auf den Tod nicht ausstehen konnte. Unten im Magazin war sie einmal auf einen Trupp Teenager gestoßen, die um ein Lagerfeuer aus Büchern herumsaßen und einen Joint kreisen ließen. Sie war in wilde Raserei verfallen und hatte die Jungs mit einem abgebrochenen Stuhlbein in der Hand verjagt. Wenn die Tapete, die sich von den Wänden ablöste, Feuer fing, würde sie ihr letztes richtiges Zuhause verlieren. Diese Wichser verbrannten Bücher! Sie würde ihnen die Eier abschneiden und ihre Frauen vergewaltigen! Die Jungen waren zu fünft gewesen, aber sie waren vor ihr geflohen, als hätten sie ein Gespenst gesehen. Manchmal hielt sie sich selbst für ein Gespenst – vielleicht war sie ja während der Überschwemmung ums Leben gekommen und hatte es nur noch nicht gemerkt.
    Sie warf einen letzten Blick zu V ic hinüber, die auf der Couch lag, die Fäuste unterm Kinn geballt. Dieses Mal konnte Maggie nicht an sich halten. Die Tür befand sich in der Nähe der Couch, und im V orbeigehen beugte sie sich vor und küsste V ic ganz sanft auf die Schläfe. V ics Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, aber sie wachte nicht auf.
    Maggie machte sich auf die Suche nach dem Jungen. Sie betrat den Raum, der einmal die Kinderbibliothek gewesen war, und schloss leise die Tür hinter sich. Der verschimmelte Teppich war in Streifen abgezogen worden, und die stinkenden Knäuel lagen zusammengerollt an der hinteren Wand. Darunter war nasser Beton zum V orschein gekommen. Die Hälfte eines riesigen Globus – die nördliche Hemisphäre – nahm eine Ecke des Raumes ein. Jemand hatte sie umgedreht, und sie war mit Wasser gefüllt, in dem Taubenfedern schwammen; die Außenseite war voller V ogeldreck. Amerika stand auf dem Kopf und war mit Scheiße bedeckt. Geistesabwesend bemerkte Maggie, dass sie immer noch den Beutel mit den Scrabble-Steinen in der Hand hielt – sie hatte vergessen, sie in den Schreibtisch zurückzulegen. Wie dämlich.
    Irgendwo weiter rechts hörte sie ein Geräusch, als würde Butter in einer Pfanne brutzeln. Maggie umrundete den u-förmigen Schreibtisch aus Nussbaumholz, wo sie früher Coraline und Das Geheimnis der Zauberuhr und Harry Potter ausgeliehen hatte. Als sie sich der Galerie näherte, die zum Hauptgebäude zurückführte, sah sie einen tanzenden Feuerschein.
    Der Junge stand mit seiner Wunderkerze am hinteren Ende der Galerie – eine kleine, stämmige Gestalt, deren Gesicht im Schatten einer Kapuze verborgen war. Er starrte vor sich hin, die Wunderkerze zum Boden gesenkt. Funken sprühten, und es qualmte heftig. In der anderen Hand hielt er eine silberne Dose. Maggie roch nasse Farbe.
    ».anders nicht kann Ich«, sagte er mit heiserer Stimme und lachte.
    »Was?«, rief sie. »Jungchen, hau damit bloß ab.«
    Er schüttelte den Kopf, drehte sich um und ging davon, ein Kind der Schatten, das sich bewegte wie eine Gestalt in einem Traum, die Maggie in einen finsteren Winkel ihres Unterbewusstseins führen wollte. Er schwankte wie betrunken und wäre fast gegen die Wand gestoßen. Er war wirklich betrunken! Sogar auf diese Entfernung konnte Maggie das Bier riechen.
    »He!«, sagte sie.
    Er verschwand. Irgendwo vor ihr hörte sie hallendes Gelächter. Im fernen Halbdunkel des Zeitschriftenraums sah sie ein weiteres Licht – den flackernden Schein eines Feuers.
    Sie rannte los. Spritzen und Flaschen schepperten über den Betonboden,

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