Christmasland (German Edition)
Beziehungen ab. Charles Manx war es nicht gelungen, sie zugrunde zu richten, aber sie tat ihr Bestes, um das selbst nachzuholen.
Manx hatte knapp zwanzig Jahre im Hochsicherheitsgefängnis Englewood zugebracht. Nachdem er fast ein Jahrzehnt mit kleinen Unterbrechungen im Koma gelegen hatte, war er vergangenes Frühjahr gestorben. Der Gerichtsmediziner hatte ihn auf neunzig geschätzt, aber niemand kannte sein genaues Alter, und als Manx noch bei V erstand gewesen war, hatte er behauptet, einhundertundsechzehn Jahre alt zu sein. V andalen hatten die Leiche aus dem Leichenschauhaus geklaut, was zu einem kleineren Skandal geführt hatte, aber es bestand kein Zweifel an seinem Tod. Sein Herz hatte 290 Gramm gewogen, nicht besonders viel für einen Mann seiner Größe. Hutter hatte ein Foto davon gesehen.
V ic McQueen behauptete, vor drei Tagen erneut überfallen worden zu sein, und zwar von Charlie Manx und einem Mann mit einer Gasmaske. Diese beiden Männer seien mit ihrem zwölfjährigen Sohn in einem alten Rolls-Royce davongefahren.
Es gab gute Gründe, an ihrer Geschichte zu zweifeln. Sie war geschlagen worden, aber die V erletzungen konnte ihr auch ein Zwölfjähriger beigebracht haben, der um sein Leben kämpfte. Auf dem Rasen waren Reifenspuren, aber diese konnten ebenso gut von einem Motorrad stammen wie von einem Auto – in der weichen, nassen Erde waren keine brauchbaren Abdrücke zurückgeblieben. McQueen behauptete, es sei auf sie geschossen worden, aber die Kriminaltechniker hatten keine einzige Kugel finden können.
Was noch mehr gegen McQueen sprach: Sie hatte insgeheim Kontakt mit einer Frau namens Margaret Leigh aufgenommen, einer drogenabhängigen Prostituierten, die anscheinend etwas über das verschwundene Kind wusste. Als McQueen mit dieser Information konfrontiert wurde, war sie Hals über Kopf mit dem Motorrad geflohen. Seither fehlte jede Spur von ihr.
Es war unmöglich gewesen, Ms. Leigh aufzuspüren. Die meiste Zeit hatte sie anscheinend in Obdachlosenunterkünften oder Rehabilitationseinrichtungen in Iowa und Illinois verbracht, und seit 2008 hatte sie keinen festen Job mehr gehabt oder Steuern gezahlt. Ihr Leben folgte einem unverkennbar tragischen Muster: Früher hatte sie als Bibliothekarin gearbeitet und als exzentrische Scrabble-Spielerin einen gewissen Ruf genossen. Außerdem hieß es, sie sei medial veranlagt und wäre hin und wieder auch der Polizei behil fl ich gewesen. Was hatte das zu bedeuten?
Und dann war da noch der Hammer. Der Hammer ging Hutter seit Tagen nicht mehr aus dem Sinn. Je mehr sie wusste, umso schwerer wog er in ihren Gedanken. Wenn V ic sich die Sache mit dem Überfall nur ausgedacht hatte, warum behauptete sie dann nicht einfach, Manx wäre mit einem Baseballschläger, einer Schaufel oder einem Brecheisen auf sie losgegangen? Stattdessen beschrieb sie eine Waffe, bei der es sich eindeutig um einen Knochenhammer handelte, und genau ein solches chirurgisches Instrument war zusammen mit Manx’ Leiche verschwunden – ein Detail, das den Medien vorenthalten worden war.
Und schließlich war da noch Louis Carmody, V ic McQueens zeitweiliger Geliebter, der V ater ihres Kindes, der Mann, der ihr vor all den Jahren bei der Flucht vor Charlie Manx geholfen hatte. Carmodys Stenose war nicht vorgetäuscht; Hutter hatte mit seiner behandelnden Ärztin gesprochen, und diese hatte bestätigt, dass er innerhalb von einer Woche vermutlich zwei infarktähnliche Symptome gezeigt hatte.
»Er hätte das Krankenhaus nicht verlassen dürfen«, hatte die Ärztin zu Hutter gesagt, als wäre diese schuld daran. In gewisser Hinsicht war sie das ja auch. »Ohne eine Angioplastie kann jede übermäßige Beanspruchung seines Herzens eine ischämische Kaskade zur Folge haben. Und wissen Sie, was das ist? Eine Stoßentladung im Gehirn. Eine hochgradige Infarzierung.«
»Das heißt, er könnte einen Schlaganfall bekommen«, sagte Hutter.
»Ja, und zwar jeden Moment. Er gleicht einem Mann, der mitten auf der Straße liegt. Früher oder später wird er überfahren werden.«
Und trotzdem hatte Carmody das Krankenhaus verlassen und war mit einem Taxi einen knappen Kilometer bis zum Bahnhof gefahren. Dort hatte er einen Fahrschein nach Boston gekauft, wahrscheinlich um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken, war dann aber in eine Drogerie gegangen und hatte in Dover, New Hampshire, angerufen. Eine Dreiviertelstunde später war Christopher McQueen in seinem Pick-up vorgefahren, und
Weitere Kostenlose Bücher