Christmasland (German Edition)
Schneefall unmöglich sehen konnte.
»Hallo!«, rief er. »Bist du bei uns, V ictoria? Seid ihr hier, du und deine Höllenmaschine?«
»Lass ihn gehen, Charlie!«, schrie sie. »Lass ihn gehen, wenn du am Leben bleiben willst!«
Selbst auf die Entfernung von fünfzig Metern konnte sie sehen, wie er lachte. »Ich glaube, inzwischen weißt du, dass ich nicht leicht zu töten bin. Aber komm ruhig mit, V ictoria! Folge mir ins Christmasland! Dort können wir die ganze Angelegenheit zu Ende bringen. Dein Sohn wird sich freuen, dich zu sehen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, glitt er hinter das Steuer des Wraiths. Die Heckscheinwerfer leuchteten auf, blendeten wieder ab, und der Wagen setzte sich in Bewegung.
»Himmel Herrgott, V ic«, sagte Lou. »Das ist ein Fehler. Er hat mit dir gerechnet. Es muss einen anderen Weg geben. Tu das nicht. Du darfst ihm nicht folgen. Bleib bei mir, und wir finden einen anderen Weg.«
»Dafür ist es jetzt zu spät«, sagte sie. »Halte nach Wayne Ausschau. Er kommt bestimmt bald.«
Sie schwang das Bein über den Sattel und drehte den Zündschlüssel. Der Scheinwerfer flackerte kurz auf und erlosch dann wieder. V ic, die in ihren abgeschnittenen Jeans und Turnschuhen zitterte, setzte den Fuß auf den Kickstarter und verlagerte das Gewicht. Das Motorrad stieß ein leises Keuchen aus. Sie trat den Starter erneut durch, und ein lustloses Geräusch ertönte, fast wie ein Furz.
»Na komm schon, Schätzchen«, sagte sie leise. »Zum letzten Mal. Holen wir unseren Jungen nach Hause.«
Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Schnee verfing sich in den feinen Haaren auf ihren Armen. Dann ließ sie sich fallen. Die Triumph sprang grollend an.
» V ic!«, rief Lou, aber sie konnte ihn jetzt nicht anschauen, sonst hätte sie gesehen, dass er weinte, und sie hätte ihn in den Arm nehmen wollen und vielleicht den Mut verloren. Sie ließ die Kupplung kommen. » V ic!«, schrie er noch einmal.
Im ersten Gang knatterte sie die Böschung hinauf. Das Hinterrad schlingerte auf dem vom Schnee glitschigen Gras, und sie musste sich mit einem Fuß abstützen, um es über die Kuppe zu schaffen.
V ic hatte den Wraith aus den Augen verloren. Er hatte einen Bogen um die Trümmer der alten Jagdhütte gemacht und war auf der anderen Seite zwischen den Bäumen verschwunden. Sie schaltete in den zweiten Gang und dann in den dritten und gab Gas. Steine spritzten unter den Reifen hervor. Die Maschine fühlte sich auf dem Schnee, der den Kies wie eine dünne Staubschicht bedeckte, kippelig an.
Sie fuhr um die Ruine herum, in das hohe Gras und schließlich auf einen von Farnen überwucherten Waldweg, der gerade breit genug für den Wraith war.
Die Äste der Tannen neigten sich ihr entgegen und bildeten einen schmalen, dunklen Korridor. Der Wraith hatte abgebremst, damit sie aufholen konnte, und war nur noch etwa zwanzig Meter vor ihr. NOS4A2 rollte weiter, und sie folgte seinen Rücklichtern. Die eisige Luft schnitt durch ihr dünnes T-Shirt und füllte ihre Lunge mit nasskaltem Atem.
Allmählich wichen die Bäume beiderseits von ihr zurück, und sie gelangte auf eine von Gesteinsbrocken übersäte Lichtung. V or ihr erhob sich eine Steinmauer mit einem alten, schmalen Backsteintunnel. V ic musste an ihre Brücke denken. Das ist seine Brücke , dachte sie. Neben dem Tunneleingang war ein weißes Metallschild an der Mauer befestigt: DER PARK HAT DAS GANZE JAHR HINDURCH GEÖFFNET. KINDER FREUT EUCH! HIPP, HIPP, HURRA, DER SCHNEE IST DA!
Der Wraith glitt in den Tunnel hinein. Burl Ives hallte aus der Dunkelheit des Durchgangs zu ihr herüber – eines Durchgangs, den es, so vermutete V ic, vor zehn Minuten noch nicht gegeben hatte.
V ic folgte dem Wagen hinein. Der rechte Auspuff schleifte über das Pflaster und schlug Funken. Das Grollen des Motors wurde vom Gemäuer zurückgeworfen.
Der Wraith fuhr vor ihr aus dem Tunnel hinaus. Sie hielt sich dicht hinter ihm und brauste durch das Zuckerstangentor ins Freie, vorbei an den drei Meter großen Nussknackern, die dort Wache standen. Endlich – Christmasland.
TRIUMPH
EWIGER HEILIGABEND
Christmasland
D er Wraith lockte V ic den zentralen Boulevard entlang, die sogenannte »Gummibonbonallee«. Während der Wagen langsam weiterfuhr, drückte Charlie Manx dreimal auf die Hupe und dann noch dreimal: da-da-da, da-da-da, die unverwechselbaren Anfangstakte von »Jingle Bells«.
Inzwischen zitterte V ic am ganzen Körper vor Kälte, und sie musste ein
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