Christmasland (German Edition)
drehen, und aus unsichtbaren Lautsprechern erklang Musik. Eartha Kitt erklärte mit ihrer neckisch-ungezogenen Stimme dem Weihnachtsmann singend, was für ein braves Mädchen sie doch gewesen sei.
In der hellen Kirmesbeleuchtung konnte V ic erkennen, dass die Kleider der Kinder dreckig und voller Blut waren. V ic sah ein kleines Mädchen mit ausgebreiteten Armen auf Manx zulaufen. Auf der V orderseite ihres Nachthemds waren blutige Handabdrücke. Sie schloss die Arme um Manx’ Beine, und er legte die Hand auf ihren Kinderkopf und drückte sie an sich.
»Ach, die kleine Lorrie«, sagte Manx. Ein anderes, nur wenig größeres Mädchen mit langem, glattem Haar, das ihm bis zu den Kniekehlen reichte, kam herbeigerannt und umarmte Manx von hinten. »Meine liebe Millie«, sagte er. Das größere Mädchen trug die rot-blaue Uniform eines Nussknackers mit Patronengurten quer über der schmalen Brust. In einem goldenen Gürtel steckte ein Messer, die nackte Klinge auf Hochglanz poliert.
Charlie Manx richtete sich auf, behielt die Arme jedoch um die Mädchen. Er wandte sich um und sah V ic an, und in seinen Augen leuchtete so etwas wie Stolz.
»Alles, was ich getan habe, V ictoria, habe ich für meine Kinder getan«, sagte er. »Im Christmasland gibt es keine Traurigkeit und keine Schuld. Hier ist jeden Tag Weihnachten, für immer und ewig. Jeden Tag gibt es Kakao und Geschenke. Sieh, was ich meinen beiden Töchtern gegeben habe – Fleisch von meinem Fleische, Blut von meinem Blut. Und all den anderen glücklichen Kindern ebenso. Kannst du deinem Sohn wirklich etwas Besseres bieten? Hast du das jemals getan?«
»Sie ist hübsch«, sagte ein Junge hinter V ic, ein schmächtiger Junge mit einer dünnen Stimme. »Genauso hübsch wie meine Mutter.«
»Wie sie wohl ohne Nase aussieht?«, fragte ein anderer Junge und lachte.
»Was kannst du Wayne geben außer Elend, V ictoria?«, fragte Charlie Manx. »Kannst du ihm seine eigenen Sterne geben, seinen eigenen Mond, eine Achterbahn, die jeden Tag mit neuen Loopings und Kurven aufwartet, ein Schokoladengeschäft, dem die Schokolade nie ausgeht? Freunde und Spiele und Spaß, ohne dass er jemals krank wird, ohne dass er jemals stirbt?«
»Ich bin nicht hier, um zu verhandeln, Charlie!«, schrie V ic. Es fiel ihr schwer, den Blick auf ihn gerichtet zu halten. Andauernd schaute sie nach links und rechts, und sie musste sich zwingen, nicht über die Schulter zu blicken. Sie spürte, wie die Kinder ganz langsam näher kamen, mit ihren Ketten und Beilen und Messern und an Schnüren aufgefädelten Fingern. »Ich bin hier, um dich zu töten. Wenn du mir nicht meinen Jungen zurückgibst, wird all das vernichtet werden. Du und deine Kinder und diese ganze jämmerliche Fantasiewelt. Das ist deine letzte Chance.«
»Sie ist das hübscheste Mädchen der Welt«, sagte der schmächtige Junge mit der dünnen Stimme. »Sie hat hübsche Augen. Wie die meiner Mama.«
»Okay«, sagte der andere Junge. »Du kannst ihre Augen haben, ich krieg die Nase.«
In der Dunkelheit unter den Bäumen sang eine hysterische Stimme:
Im Christmasland bau’n wir ’ne Schneefrau!
Ganz weiß und hübsch, das soll sie sein,
Wir haben viel Spaß mit der Schneefrau,
Und dann hacken wir sie kurz und klein!
Der schmächtige Junge kicherte.
Die anderen Kinder schwiegen. Eine entsetzlichere Stille hatte V ic noch nie gehört.
Manx legte seinen kleinen Finger an die Lippen: eine aufgesetzt theatralische Geste, die Nachdenklichkeit signalisieren sollte.
Dann ließ er die Hand sinken und sagte: »Meint ihr nicht, wir sollten Wayne fragen, was er will?« Er bückte sich und flüsterte dem größeren der beiden Mädchen etwas zu.
Das Mädchen in der Nussknackeruniform – Millie – lief barfuß zum Heck des Wraiths.
V ic hörte, wie sich von links schlurfende Schritte näherten. Sie fuhr herum und sah ein Kind, das keine zwei Meter entfernt stand – ein dickes kleines Mädchen in einem verfilzten Pelzmantel, der vorn offen war und unter dem es nichts außer schmutzigen Wonder-Woman -Shorts trug. Als V ic sie ansah, erstarrte sie sofort, als würde sie eine verrückte V ersion von »Ochs am Berg« spielen. Sie hielt ein Beil umklammert. In ihrem Mund blitzten mehrere Reihen spitzer Zähne – drei Reihen, wie V ic zu erkennen glaubte.
V ic schaute wieder zu dem Wagen hinüber, wo Millie gerade die Tür öffnete.
Einen Moment lang geschah nichts. Im Wageninneren war es vollkommen dunkel.
Sie sah, wie Wayne den
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