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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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anfassen wollen, einen festen, prallen Mutterbusen.
    Das Lächeln der Dame wurde breiter. Bing sprang zurück und konnte gerade noch einen Aufschrei unterdrücken.
    »Komm schon, Bing! Lass uns weitergehen! Du bist für diese Kälte nicht passend gekleidet!«, rief Manx.
    Bing wollte einen Schritt vorwärts machen, da fiel sein Blick auf den Bogen des offenen Eisentors.
    FRIEDHOF DER MÖGLICHKEITEN
    Bing runzelte die Stirn über diese kryptische Inschrift, aber dann rief Mr. Manx erneut nach ihm, und er eilte weiter.
    V ier Steinstufen, leicht mit Schnee gesprenkelt, führten zu einer glatten Eisfläche hinunter. Das Eis war von einer dünnen Schneeschicht überzogen, die sich bei jedem Schritt löste und den Blick auf das Eis darunter freigab. Bing hatte zwei Schritte gemacht, als er, etwa sieben Zentimeter unter der Oberfläche, etwas Milchigweißes entdeckte. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein flacher Teller.
    Bing beugte sich vor, um genauer hinzusehen, und Charlie Manx, der nur wenige Schritte entfernt stand, drehte sich um und richtete die Taschenlampe auf die Stelle, die Bing betrachtete.
    Der Lichtstrahl erfasste das Gesicht eines Kindes – ein Mädchen mit Sommersprossen auf den Wangen, das Haar zu zwei Zöpfen zusammengebunden. Bei dem Anblick schrie Bing auf und taumelte einen Schritt rückwärts.
    Das Mädchen war genauso bleich wie die Marmorstatuen, die den Eingang zum Friedhof der Möglichkeiten bewachten, aber es bestand aus Fleisch und Blut, nicht aus Stein. Der Mund der Kleinen war in einem stummen Schrei geöffnet, und ein paar gefrorene Blasen stiegen von ihren Lippen auf. Die Hände hatte sie angehoben, als wollte sie sie nach ihm ausstrecken. In einer Hand befand sich ein zusammengerolltes Seil – ein Springseil, erkannte Bing.
    »Da ist ein Mädchen!«, rief er. »Ein totes Mädchen unter dem Eis!«
    »Sie ist nicht tot«, sagte Manx. »Noch nicht. Es wird wahrscheinlich noch Jahre dauern, bis sie stirbt.« Er richtete die Taschenlampe auf ein weißes Steinkreuz, das auf einer Grabplatte schräg aus dem Eis aufragte.
    LILY CARTER
    15 Fox Road
    Sharpsville, PA
    1980 – ?
    Von der Mutter zur Sünde auserkoren,
    hat sie schon früh ihre Unschuld verloren.
    Ach, hätt nur jemand über sie gewacht
    und sie ins Christmasland gebracht!
    Manx ließ das Licht der Taschenlampe über den gefrorenen See gleiten, und Bing sah endlose Reihen von Kreuzen. Er stand auf einem Friedhof von der Größe Arlingtons. Schneeflocken wirbelten zwischen den Gräbern und Grabplatten über die leere Ebene. Im Mondlicht sahen die Flocken wie silberne Späne aus.
    Bing betrachtete noch einmal das Mädchen zu seinen Füßen. Es blickte durch das trübe Eis zu ihm hoch – und blinzelte.
    Er schrie erneut auf und taumelte rückwärts. Dabei stieß er gegen ein anderes Kreuz, stolperte und fiel hin.
    Er blickte durch das dunkle Eis. Manx richtete die Taschenlampe auf das Gesicht eines anderen Kindes – ein Junge mit nachdenklichen Augen und einer blonden Ponyfrisur.
    WILLIAM DELMAN
    42B Mattison Avenue
    Asbury Park, NJ
    1981 – ?
    Billy wollte doch nur Spaß,
    doch als der Vater ihn vergaß
    und seine Mutter früh die Segel strich
    verlor er sich, verlor er sich.
    Bing versuchte, sich aufzurichten, vollführte einen komischen Stepptanz auf dem Eis und fiel erneut hin, diesmal ein Stück weiter links. Der Strahl von Manx’ Taschenlampe beleuchtete ein weiteres Kind, ein asiatisches Mädchen, das einen Teddybär im Tweed-Jackett umklammert hielt.
    SARA CHO
    39 Fith Street
    Bangor, ME
    1983 – ?
    Sara hatte wenig Glück,
    mit dreizehn nimmt sie sich den Strick.
    Doch alle Trauer wär gebannt
    in jenem fernen Christmasland.
    Bing keuchte entsetzt auf. Das Mädchen, Sara Cho, blickte ihm direkt in die Augen, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Sie war mit einer Wäscheleine um den Hals unter dem Eis begraben worden.
    Charlie Manx ergriff Bing am Ellbogen und half ihm hoch.
    »Es tut mir leid, dass du das alles sehen musst, Bing«, sagte Manx. »Ich wünschte, ich hätte es dir ersparen können. Aber du musst die Gründe für meine Arbeit verstehen. Komm mit zurück zum Auto. Ich habe eine Thermoskanne mit Kakao dabei.«
    Mr. Manx half Bing über das Eis. Er hielt Bings Oberarm fest umklammert, damit er nicht noch einmal ausrutschte.
    Erst als sie beim Wagen angekommen waren, ließ Manx ihn los und ging zur Fahrerseite, aber Bing blieb noch einen Moment stehen, und zum ersten Mal fiel ihm die Zierfigur auf der

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