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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Fußmatte, unter der ein glänzender Messingschlüssel versteckt war.
    Der Schlüssel öffnete das V orhängeschloss an der Kellertür auf der Rückseite des Gebäudes. Bing stieg in den Keller hinab. Er ging durch einen kühlen unterirdischen Raum, in dem es nach Teeröl und alten Büchern roch, und kam schließlich in dem hohen, offenen V ersammlungsraum der Kirche heraus.
    Bing war immer gern in die Kirche gegangen, damals, als seine Mutter ihn noch hierher mitgenommen hatte. Er hatte den Anblick der Sonnenstrahlen gemocht, die durch die sechs Meter hohen Buntglasfenster fielen und den Raum mit Wärme und Farbe füllten, und die Mütter in ihren weißen Spitzenblusen, den Absatzschuhen und den milchweißen Strümpfen. Bing mochte weiße Strümpfe und hörte gern Frauenstimmen singen. Auch die Mütter im Haus des Schlafes hatten gesungen, bevor sie sich zur letzten Ruhe begeben hatten.
    Aber nachdem der Pastor mit der Kollekte durchgebrannt war und die Bank das Gebäude geschlossen hatte, hatte es Bing eher Angst eingejagt. Es behagte ihm nicht, wie der Schatten des Kirchturms am späten Nachmittag auf sein Haus zukroch. Nachdem Bing angefangen hatte, Mütter mit in sein Haus zu nehmen – »das Haus des Schlafes« hatte Mr. Manx es getauft –, konnte er es kaum noch ertragen, zur Hügelspitze hinaufzusehen. Die Kirche thronte über ihm, der Schatten des Kirchturms ein drohender Zeigefinger, der den Hügel hinunter auf seinen V orgarten deutete: HIER WOHNT EIN GEFÄHR LICHER MÖRDER! IN SEINEM KELLER LIEGEN NEUN FRAUENLEICHEN!
    Bing sagte sich, dass er hier etwas durcheinanderbrachte. Schließlich waren er und Manx Helden, die aus christlicher Nächstenliebe handelten. Wenn jemand ein Buch über sie schriebe, wären sie darin die Guten. Es spielte keine Rolle, dass die meisten Mütter sogar unter dem Einfluss von Sevofluran noch nicht zugeben wollten, ihre Töchter zur Prostitution zwingen zu wollen oder ihre Söhne zu schlagen, und dass viele beteuerten, niemals Drogen genommen oder übermäßig viel getrunken zu haben und auch nicht vorbestraft zu sein. All diese Dinge lagen in der Zukunft – einer grauenhaften Zukunft, die Bing und Mr. Manx um jeden Preis verhindern wollten. Sollte Bing jemals verhaftet werden – weil die Polizei ihre Arbeit natürlich nicht zu schätzen wusste –, würde er mit Stolz über seine Taten sprechen können. Er schämte sich nicht für das, was er zusammen mit Manx getan hatte.
    Dennoch fiel es ihm manchmal schwer, zu der Kirche hochzuschauen.
    Während er die Kellerstufen hinaufstieg, schalt er sich deswegen eine Memme. Alle Menschen waren im Haus Gottes willkommen, und Mr. Manx brauchte Bings Gebete – jetzt mehr denn je. Bing selbst hatte sich noch nie so einsam und verloren gefühlt. V or ein paar Wochen hatte Mr. Paladin Bing gefragt, was er mit sich anfangen wollte, wenn er in Rente gegangen sei. Bing war ganz erschrocken gewesen und hatte gefragt, warum er denn in Rente gehen sollte. Er mochte seinen Job. Mit einem verständnislosen Blinzeln hatte Mr. Paladin geantwortet, dass sie ihn nach vierzig Jahren in den Ruhestand schicken würden. Ob er wollte oder nicht. Bing hatte noch nie darüber nachgedacht. Er war stets davon ausgegangen, dass er sich bis dahin längst im Christmasland befinden würde, wo er Kakao trinken, morgens Geschenke aufmachen und abends Weihnachtslieder singen würde.
    An diesem Nachmittag schenkte das leere Kirchengebäude ihm keinen Trost. Ganz im Gegenteil. Die Kirchenbänke waren alle noch vorhanden, aber sie standen nicht mehr in Reih und Glied da, sondern waren wild durcheinandergeschoben worden – schief und krumm wie Mr. Manx’ Zähne. Der Fußboden war mit abgebröckeltem Putz und Glassplittern übersät, die unter den Füßen knirschten. Der Raum roch schwach nach Ammoniak und V ogelpisse. Irgendjemand hatte sich hier betrunken. Auf den Kirchenbänken waren überall Flaschen und Bierbüchsen verstreut.
    Bing ging einmal quer durch den Raum und scheuchte dabei die Schwalben in den Dachbalken auf. Das Geräusch ihrer flatternden Flügel hallte von den Wänden wider. Es klang so, als würde ein Zauberer Spielkarten in die Luft werfen.
    Das Licht, das durch die Fenster hereinfiel, war kalt und blau, und in den Sonnenstrahlen tanzten Staubflocken, als wäre die Kirche das Innere einer Schneekugel, die jemand geschüttelt hatte.
    Irgendwelche Jugendlichen oder Obdachlosen hatten in einer der Fensternischen einen Altar eingerichtet. Schiefe rote

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