Christmasland (German Edition)
liebe dich so sehr, dass ich innerlich verbrenne. Mein Herz steht in Flammen. Das Feuer verzehrt mich bei lebendigem Leib.« Ihr Atem hatte süß nach Lebkuchenrauch gerochen. Sie war so durchtrainiert und gesund gewesen, dass er ihr alle drei Stunden Sevofluran hatte verabreichen müssen. Und sie hatte ihn geliebt. So sehr, dass sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, als er ihr gesagt hatte, dass sie nicht mehr zusammen sein konnten. Ein letztes Mal hatten sie sich geliebt, während sie verblutet war. Hinterher war sein ganzer Körper mit ihrem Blut beschmiert gewesen.
»Tut es weh?«, hatte er sie gefragt.
»O Bing, du Dummerchen«, hatte sie gesagt. »Seit Tagen brenne ich vor Liebe. Die paar Schnitte tun im V ergleich dazu überhaupt nicht weh.«
Sie war so schön gewesen – hatte so vollkommene Mutterbrüste besessen –, dass er es erst über sich gebracht hatte, sie mit Lauge zu übergießen, als die Leiche zu stinken angefangen hatte. Selbst mit den Fliegen im Haar war sie noch schön gewesen – eigentlich sogar besonders schön. Die Schmeißfliegen hatten wie Edelsteine gefunkelt.
Bing hatte mit Mr. Manx den Friedhof der Möglichkeiten besucht und wusste, dass Cynthia McCauley – wenn er und Manx nicht eingeschritten wären – irgendwann in einem von Steroiden ausgelösten Wutanfall ihren Sohn umgebracht hätte. Unten in seinem Rückzugsraum hatte er sie Liebe und Freundlichkeit gelehrt und sie seinen Schwanz lutschen lassen, wodurch ihr Leben doch noch ein gutes Ende genommen hatte.
Darum ging es letztlich: Aus etwas Schlimmem etwas Gutes zu machen. Mr. Manx hatte die Kinder gerettet und Bing die Mütter. Jetzt war es damit vorbei. Manx befand sich hinter Gittern, und Bings Gasmaske hing schon seit dem Jahr 1996 an einem Haken neben der Hintertür. Nachdem er den Artikel über Mr. Manx gelesen hatte, der in einen tiefen, endlosen Schlaf gesunken war – wie ein tapferer Soldat, verhext von einem bösen Zauber –, druckte er ihn aus, faltete ihn zusammen und beschloss, beten zu gehen.
Mit seinen dreiundfünfzig Jahren war Bing Partridge wieder ein gläubiger Mann geworden. Er war in der Hoffnung, Gott würde einem seiner einsamsten Kinder etwas Trost schenken, zum New American Faith Tabernacle zurückgekehrt. Bing betete darum, eines Tages wieder das Lied »White Christmas« in seiner Einfahrt zu hören – dann würde er den V orhang zurückschieben und Mr. Manx hinter dem Steuer seines Wraiths sitzen sehen. Manx würde das Fenster herunterkurbeln und sagen: Komm schon, Bing! Lass uns eine Spritztour machen! Nummer zehn wartet auf uns! Wir wollen ein weiteres Kind abholen und dich dann ins Christmasland bringen! Das hast du dir wirklich verdient!
In der drückenden Hitze des Julinachmittags stieg Bing den steilen Hügel hinauf. Die Windrädchen in seinem V orgarten – alle neunundzwanzig – waren völlig reglos und still. Er hasste sie. Den blauen Himmel hasste er auch und das verrückte Zirpen der Zikaden in den Bäumen. Den Artikel (» V erurteilter Mörder leidet unter seltener Krankheit«) in der einen Hand und Mr. Manx’ letzte Nachricht (»Kann eine Weile dauern. 9.«) in der anderen stapfte Bing den Hügel hoch, um mit Gott Zwiesprache zu halten.
Die Kirche stand auf einem Hektar welligen Asphalts, durch dessen Risse bleiche Grashalme wuchsen, die Bing bis zu den Knien reichten. Die V ordertür war mit einer schweren Kette und einem V orhängeschloss gesichert. Außer Bing hatte hier seit fünfzehn Jahren niemand mehr gebetet. Das Tabernacle war einst ein Haus Gottes gewesen, aber nun gehörte es den Geldverleihern. Jedenfalls stand das auf einem verblichenen Stück Papier in einem durchsichtigen Plastikumschlag, der an eine der Türen geheftet war.
Die Zikaden zirpten wie verrückt in Bings Kopf.
An einem Ende des Parkplatzes befand sich ein großes Schild, wie man es auch bei Dairy-Queen-Restaurants oder Gebrauchtwagenhändlern fand, auf dem stand, welche Kirchenlieder an diesem Tag gesungen werden würden: »Only in God«, »He’s Alive Again« und »The Lord Never Sleeps«. Für 13 Uhr war die Andacht angekündigt. Die Aufschrift war seit Reagans zweiter Amtszeit nicht mehr geändert worden.
Ein paar der Buntglasfenster waren von Kindern mit Steinen eingeworfen worden, aber Bing stieg nicht durch die Fenster ein. An der Seite der Kirche befand sich ein Schuppen, der halb zwischen staubigen Pappeln und Giftefeu verborgen war. V or seiner Tür lag eine verrottende
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