Christmasland (German Edition)
lenken lernte. Damals hatte er sich gefühlt wie Gregory Peck in Wer die Nachtigall stört . Aber über Männer oder Sex hatte er nie mit ihr reden können, und es hatte ihn noch zusätzlich verunsichert, dass er das Gefühl gehabt hatte, sie bräuchte seinen Rat zu diesen Themen gar nicht.
»Wer ist hier nervös?«, fragte er in die leere Garage und prostete seinem Schatten zu.
Sechs Tage vor dem großen Ball baute er den Motor wieder in den Wraith ein, schloss die Motorhaube und trat einen Schritt zurück, um seine Arbeit zu begutachten – ein Bildhauer, der den Akt betrachtete, der einst ein Marmorblock gewesen war. Einen ganzen Winter lang hatte er Öl unter den Fingernägeln gehabt, sich die Knöchel angeschlagen und herabrieselnden Rost aus den Augen gewischt. Das Schrauben war ihm heilig gewesen, genauso bedeutsam wie einem Mönch das Übertragen eines sakralen Textes. Er hatte sich bei der Arbeit die größte Mühe gegeben, und das sah man auch.
Der tiefschwarze Rumpf des Wagens glänzte wie ein Torpedo oder ein Stück poliertes vulkanisches Glas. Die hintere Tür, die nicht gepasst hatte und völlig verrostet gewesen war, hatte er durch eine Originaltür ersetzt, die er von einem Sammler aus einer der ehemaligen Sowjetrepubliken erhalten hatte. Die Sitze hatte er mit Ziegenleder neu bezogen und die ausklappbaren Ablagen und Schubladen im Fond der Limousine durch neue Bauteile aus Walnussholz ersetzt, die er von einem Zimmermann in Nova Scotia von Hand hatte anfertigen lassen. Er hatte nur Originalteile verwendet, bis hin zum Röhrenradio – obwohl er mit dem Gedanken gespielt hatte, einen CD -Spieler einzubauen und einen Bose-Subwoofer im Kofferraum zu installieren. Am Ende hatte er sich aber dagegen entschieden. Einer Mona Lisa sprühte man auch keine Baseballkappe auf.
V or langer Zeit hatte er seiner Tochter an einem heißen, gewittrigen Sommernachmittag einmal versprochen, dass er den Rolls-Royce bis zu ihrem Abschlussball auf V ordermann gebracht haben würde, und jetzt war er tatsächlich fertig, knapp eine Woche vor dem Termin. Nach dem Abschlussball könnte er ihn verkaufen – in komplett restauriertem Zustand würde der Wraith auf dem Sammlermarkt bis zu einer Viertelmillion Dollar wert sein. Nicht schlecht für ein Auto, das frisch ab Werk fünftausend Dollar gekostet hatte. Bei der FBI -Auktion vor zehn Jahren hatte Nathan lediglich das Doppelte dafür bezahlt.
»Was meinst du, wem er vorher gehört hat?«, hatte Michelle gefragt, nachdem er ihr erzählt hatte, woher er den Wagen hatte.
»Wahrscheinlich einem Drogenhändler«, hatte er gesagt.
»Mann, ich hoffe, es ist niemand darin ermordet worden«, hatte sie erwidert.
Der Wagen sah gut aus – aber das reichte nicht. Bevor Nathan Michelle ans Steuer ließ, wollte er erst einmal selbst ein paar Dutzend Kilometer damit zurückgelegt haben, um zu sehen, wie sich der Wraith nach der Komplettüberholung fuhr.
»Komm, du hübsches Luder«, sagte er zu dem Wagen. »Dann wollen wir dich mal aufwecken und sehen, was du so draufhast.«
Demeter setzte sich ans Steuer, knallte die Tür zu und drehte den Zündschlüssel herum.
Der Motor erwachte lautstark zum Leben – ein knatterndes, beinahe triumphierendes Dröhnen, das sich jedoch sofort in ein tiefes, angenehmes Summen verwandelte. Der mit beigefarbenem Leder bezogene Fahrersitz war bequemer als Nathans Tempur-Pedic-Bett. Damals, als der Wraith hergestellt worden war, wurden Autos noch nach denselben Prinzipien gebaut wie Panzer – Langlebigkeit war oberstes Gebot. Nathan war sich ziemlich sicher, dass dieses Auto ihn überleben würde.
Er sollte recht behalten.
Er hatte sein Handy auf dem Arbeitstisch zurückgelassen und wollte es noch holen gehen, bevor er mit dem Wagen losfuhr. Schließlich wollte er nicht irgendwo liegen bleiben, falls eine Schubstange brach oder etwas in der Art. Er griff nach der Türklinke und erlebte seine erste Überraschung. Der Türriegel rastete mit einem so lauten Knallen ein, dass Nathan vor Schreck beinahe aufgeschrien hätte.
Das Ganze war so unvermutet geschehen, dass Nathan sich nicht sicher war, ob er es wirklich gesehen hatte. Aber dann rasteten auch die anderen Riegel ein – peng, peng, peng –, als würde jemand eine Waffe abfeuern. Und da konnte er sich nicht länger einreden, dass er sich das alles nur einbildete.
»Was zum Teufel?«
Er zog an dem Riegel auf der Fahrerseite, aber dieser blieb unten, als wäre er festgeschweißt worden.
Der
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