Christmasland (German Edition)
Backsteinhäuser wieder. Die Nacht roch aromatisch nach Herbst und feuchtem Asphalt. Sie liebte die Gerüche der Straße: Asphalt, der in der Julisonne schmorte, den Duft von Staub und Pollen auf Feldwegen im Juni, Landstraßen im Oktober, von denen das würzige Aroma zerriebener Blätter aufstieg, den sandig-salzigen Geruch des Highways im Februar, der an eine Meeresbrise erinnerte.
Um diese Tageszeit hatte sie die Straße fast für sich allein, nur einmal fuhren drei Männer auf Harleys vorbei. Sie bremsten ab, um V ic genauer in Augenschein zu nehmen. Aber es waren keine Biker, sondern irgendwelche Yuppies, die nach einem Abend in einem teuren Strip-Club zu ihren Ehefrauen zurückkehrten. An ihren italienischen Lederjacken, Bluejeans von Gap und sorgfältig gepflegten Motorrädern erkannte V ic, dass sie ihre Zeit eher in teuren Restaurants als auf der Straße verbrachten. Trotzdem musterten sie sie von Kopf bis Fuß. V ic hob die Whiskeyflasche hoch, steckte sich zwei Finger in den Mund und pfiff ihnen hinterher, während sie beschleunigten und mit knatternden Auspuffrohren das Weite suchten.
Schließlich stieß V ic auf einen Buchladen, der natürlich geschlossen hatte. Es war ein kleines Geschäft, aber im Schaufenster war eines von ihren Büchern ausgestellt. V or einem Jahr hatte sie hier einmal gelesen. Damals hatte sie Hosen angehabt.
Sie beugte sich vor und blickte in den dunklen Laden, um zu sehen, welches Buch da angepriesen wurde. Es war das vierte. War der vierte Band bereits erschienen? V ic hatte das Gefühl, dass sie die Arbeit daran noch gar nicht beendet hatte. Sie verlor das Gleichgewicht und klatschte, den Arsch nach hinten weggestreckt, mit dem Gesicht gegen die Scheibe.
Sie war froh, dass Band vier erschienen war. Es hatte Zeiten gegeben, da war sie sich nicht sicher gewesen, ob sie ihn überhaupt würde beenden können.
Als V ic mit dem Zeichnen der Bücher begonnen hatte, waren die Anrufe aus dem Christmasland selten gewesen. Deshalb hatte sie die Search-Engine -Serie überhaupt angefangen, weil die Telefone schwiegen, solange sie zeichnete. Aber während der Arbeit am dritten Band wurde auf Radiosendern, die sie mochte, plötzlich mitten im Sommer Weihnachtsmusik gespielt, und die Anrufe begannen erneut. Sie hatte versucht, einen schützenden Graben um sich zu ziehen, einen Graben, der mit Maker’s Mark gefüllt war – aber alles, was sie darin ertränkt hatte, war die Arbeit selbst.
V ic stieß sich gerade vom Fenster ab, als im Buchladen das Telefon klingelte.
Sie sah das blinkende Licht an der Kasse im Ladenraum. In der warmen Stille der Nacht hörte sie das Klingeln sehr deutlich, und sie wusste, wer da anrief. Millie Manx, Brad McCauley und Manx’ andere Kinder.
»Es tut mir leid«, sagte sie zu dem Laden. »Ich bin nicht da, um euren Anruf entgegenzunehmen. Wenn ihr eine Nachricht hinterlassen wollt, habt ihr verdammt noch mal Pech gehabt.«
Sie stieß sich ein wenig zu schwungvoll von der Fensterscheibe ab und torkelte über den Gehweg, der plötzlich endete. Ihr Fuß rutschte am Bordstein ab. Sie stürzte und landete mit dem Hintern auf dem feuchten Asphalt.
Es tat weh, aber nicht so schlimm, wie es eigentlich hätte wehtun müssen. Sie war sich nicht sicher, ob der Whiskey den Schmerz betäubt hatte oder ob sie zu lange die Lou-Carmody-Diät genossen hatte und nun etwas stärker gepolstert war. Im ersten Moment fürchtete sie, sie hätte die Flasche fallen gelassen, aber sie befand sich noch unversehrt in ihrer Hand. Sie nahm einen Schluck. Es schmeckte nach Eichenfass und süßer Selbstzerstörung.
Als sie sich wieder auf die Beine kämpfte, hörte sie in einem dunklen Café ein weiteres Telefon klingeln. Das im Buchladen läutete auch immer noch. Dann begann im zweiten Stock eines Gebäudes zu ihrer Rechten noch eines zu klingeln. Und ein viertes und fünftes in den Wohnungen über ihr. Auf beiden Seiten, die ganze Straße entlang.
Die Nacht füllte sich mit einer Kakophonie von Klingeltönen. Wie Frösche im Frühling, ein merkwürdiges Zusammenspiel aus Zirpen, Pfeifen und Klingeln. Als würden am Weihnachtsmorgen die Glocken läuten.
»Lasst mich verdammt noch mal in Ruhe!«, schrie sie und warf die Flasche nach ihrem Spiegelbild in einem Schaufenster auf der anderen Straßenseite.
Die Glasscheibe zerbrach. Die Telefone hörten alle gleichzeitig auf zu klingeln, wie Feiernde, die von einem Gewehrschuss aufgeschreckt wurden.
Eine halbe Sekunde später ging im
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