Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
quer auf dem Sitz und schaute blinzelnd zur Decke hoch. Durch das Fenster auf der Beifahrerseite sah er den Nachmittagshimmel, tiefblau mit ein paar Zirruswolken in der oberen Atmosphäre. Als er eine schmerzende Stelle an seiner Stirn berührte, spürte er Blut an den Fingerspitzen. Unterdessen begann eine Flöte die ersten Takte von »The Twelve Days of Christmas« zu spielen.
    Der Wagen fuhr weiter und schaltete selbsttätig in den fünften Gang hoch. Nathan kannte die Straßen rund um sein Haus, und er glaubte, dass sie die Route 1638 zum Dixie Highway nahmen. Noch eine Minute, dann hätten sie die Kreuzung erreicht und – und dann was? Würden sie einfach darüber hinwegrasen und womöglich von einem Lastwagen erfasst werden, der aus nördlicher Richtung kam? Der Gedanke tauchte als Möglichkeit auf, aber er kam Nathan nicht besonders wahrscheinlich vor. Inzwischen glaubte er nicht mehr, dass sich der Wagen auf einer Kamikazemission befand. In seinem benommenen Zustand hatte Nathan akzeptiert, dass der Wraith von selbst fuhr. Der Wagen steuerte auf ein Ziel zu, und Nathan brauchte er dafür nicht. Möglicherweise war er sich seiner Existenz nicht einmal bewusst, so wie ein Hund die Zecke in seinem Fell nicht wahrnahm.
    Nathan richtete sich schwankend auf einem Ellbogen auf und betrachtete sich im Rückspiegel.
    Sein Gesicht war blutüberströmt. Als er seine Stirn berührte, entdeckte er am Haaransatz einen etwa zehn Zentimeter langen Riss. Er drückte leicht mit dem Finger dagegen und spürte den Knochen darunter.
    Das Stoppschild an der Kreuzung zum Dixie Highway kam in Sicht, und der Wraith wurde langsamer. Gebannt sah Nathan zu, wie der Ganghebel vom vierten in den dritten und schließlich in den zweiten Gang zurückschaltete.
    V or ihm befand sich ein Kombiwagen, der am Stoppschild wartete. Drei Kinder mit runden Gesichtern drängten sich auf dem Rücksitz. Sie drehten die Köpfe, um den Wraith zu betrachten.
    Nathan schlug mit den Händen gegen die Windschutzscheibe und hinterließ dabei rostrote Abdrücke auf dem Glas.
    » HILFE! «, schrie er, während warmes Blut über sein Gesicht lief. » HILFE, HILFE, HELFT MIR, BITTE, HELFT MIR! «
    Seltsamerweise grinsten die Kinder, als würde er Faxen machen, und winkten eifrig zurück. Er begann zu schreien wie eine Kuh auf dem Schlachthof, die auf dem dampfenden Blut ihrer Artgenossen ausrutschte, bevor es ihr selbst an den Kragen ging.
    Bei der ersten Lücke im V erkehr bog der Kombiwagen nach rechts ab. Der Wraith dagegen wandte sich nach links und beschleunigte so schnell, dass Nathan Demeter das Gefühl hatte, von einer unsichtbaren Hand in den Sitz gedrückt zu werden.
    Selbst durch die geschlossenen Fenster konnte er den sauberen Frühlingsduft von frisch gemähtem Gras, den Rauch von Grillfeuern und das frische Aroma knospender Bäume riechen.
    Der Himmel färbte sich rot, als würde auch er bluten. Die Wolken sahen aus wie Fetzen von Goldfolie.
    Nebenbei stellte Nathan fest, dass der Wraith wirklich traumhaft funktionierte. Der Motor klang gut und stark. Das hübsche Luder war also gänzlich wiederhergestellt.
    *
    Er musste hinter dem Lenkrad eingeschlafen sein, auch wenn er sich nicht daran erinnerte. Er wusste nur, dass er irgendwann bei Einbruch der Nacht die Augen geschlossen hatte, und als er sie wieder öffnete, raste der Wraith durch einen Tunnel aus wirbelndem Schnee, wie in einer Dezembernacht. Die Windschutzscheibe war mit Nathans blutigen Handabdrücken verschmiert, aber er konnte dennoch kleine Schneewirbel auf dem schwarzen Asphalt eines zweispurigen Highways sehen, den er nicht erkannte. Seidige Schneeverwehungen wanderten gespenstergleich über die Straße.
    Womöglich war der Wagen, während Nathan geschlafen hatte, so weit in den Norden gefahren, dass er in einen späten Frühlingsschneesturm geraten war. Nathan verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Die kalte Nacht und die unbekannte Straße waren unwirklich wie Traumbilder, doch sein schmerzender Kopf, das blutverklebte Gesicht und sein steifer Rücken überzeugten ihn davon, dass er wach war. Der Wagen rollte über die Straße wie ein Panzer, er wackelte und schlingerte nicht und fuhr nie weniger als einhundert Stundenkilometer.
    Aus dem Radio tönte unablässig Musik: »All I Want for Christmas Is You«, »Silver Bells«, »Joy to the World«, »It Came Upon a Midnight Clear«. Manchmal war Demeter sich der Musik bewusst und manchmal nicht. Es kamen weder Werbung noch

Weitere Kostenlose Bücher