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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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jemand konnten sie daran hindern. Nicht einmal die Canadian Pacific!
    Eine folgenschwere Entdeckung, die Susans seltsam heitere Stimmung während der vergangenen Tage, aber auch ihr zwischenzeitliches Verschwinden und die Probleme nach ihrer Rückkehr erklärte, machte Clarissa an einem düsteren Wintertag, als sie etwas später als die anderen Frauen vom Holzsammeln zurückkehrte und durch das Unterholz beobachtete, wie Susan mit dem Holzbündel auf ihrem Rücken stehen blieb, eine kleine Flasche aus ihrer Kleidertasche zog, sich verstohlen umblickte und einen Schluck daraus nahm.
    Alkohol! Susan war dem Alkohol verfallen!
    Das Problem war so alt wie die Hudson’s Bay Company und andere Handelsgesellschaften, die jahrzehntelang nicht davor zurückgeschreckt hatten, die Indianer mit gepanschtem Whiskey für ihre kostbaren Felle zu bezahlen, obwohl sie wussten, dass Indianer anfälliger als Weiße für Alkohol waren und nicht selten daran zugrunde gingen. Inzwischen griff die Northwest Mounted Police hart durch, wenn sie Händler bei dem verbotenen Verkauf von Alkohol erwischten, und zumindest in den entlegenen Reservaten gab es kaum noch Probleme. So stand es jedenfalls in der Zeitung von Vancouver.
    Woher Susan ihren Schnaps hatte, vermochte Clarissa nicht zu sagen. Etwas anderes als Schnaps konnte nicht in der Flasche sein, sonst hätte Susan nicht so heimlich daraus getrunken, aber woher stammte er? Bis zur nächsten Handelsstation war es eine Tagesreise mit dem Hundeschlitten, bis dorthin hätte sie es bei ihren Ausflügen niemals geschafft, zu Fuß schon gar nicht. Traf sie sich mit einem Händler in der Wildnis? Das würde ihre schlechte Stimmung erklären, die meist einige Tage, manchmal auch schon Stunden nach ihrer Rückkehr eingesetzt hatte. Anscheinend kaufte sie unterschiedliche Mengen. Solange Schnaps in ihrer kleinen Flasche war und sie einen gewissen Pegel hielt, war sie in bester Stimmung. Ging ihr Alkoholvorrat zur Neige, und der Nachschub ließ zu lange auf sich warten, verschlechterte sich ihre Stimmung rapide, und sie wurde wehleidig, launisch und manchmal sogar aggressiv.
    Aber warum unternahm Bill nichts dagegen? Warum folgte er Susan nicht auf ihren Ausflügen und hinderte den Händler daran, ihr den Alkohol zu verkaufen? Warum sah er dabei zu, wie seine Frau immer abhängiger von dem Schnaps wurde? Er brauchte doch nur die Polizei zu alarmieren. Oder gab es einen triftigen Grund, es nicht zu tun? Was steckte dahinter?
    Sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Nicht um Susan anzuschwärzen, sondern um ihr zu helfen. Sie mochte die Indianerin. In ihren wachen Momenten war sie eine freundliche und warmherzige Frau, die ihre Zurückhaltung ihr gegenüber rasch abgelegt hatte und ihr wie eine Schwester begegnete. Clarissa konnte nicht zusehen, wie die junge Frau ihr Leben und vielleicht sogar ihre Ehe zerstörte, denn lange würde Bills Mutter ihre plötzlichen Stimmungswechsel bestimmt nicht mehr hinnehmen. Irgendwo hatte Clarissa gelesen, dass die Indianer solche Männer und Frauen aus dem Stamm verstießen und in die Wildnis verbannten, wie es auch Stammesmitgliedern drohte, die ein Verbrechen begangen oder gegen ein Tabu verstoßen hatten. Die Vorstellung, der Häuptling könnte Susan in die Wildnis verbannen und sich selbst überlassen, war ihr unerträglich. Dort würde die arme Indianerin entweder umkommen oder tatsächlich als Prostituierte enden.
    Die Gelegenheit, ihr Geheimnis aufzuklären, kam in einer hellen Vollmondnacht, als Clarissa vom fernen Heulen eines Wolfs geweckt wurde und beobachtete, wie Susan sich heimlich von ihrem Nachtlager erhob und anzog, im flackernden Feuerschein eines der wertvollen Hermelinfelle aus einer Tasche nahm und scheinbar unbemerkt aus der Erdhütte kroch. Doch Clarissa war beinahe sicher, dass auch Bill und seine Mutter sie beobachtet hatten.
    Clarissa wartete einige Minuten, zog sich dann ebenfalls an und folgte Susan nach draußen. Niemand hinderte sie daran. Vor der Hütte empfing sie schneidende Kälte. Auch ohne den Wind, der sich in dieser Nacht erstaunlich zurückhielt, spürte sie schon nach wenigen Augenblicken den beißenden Frost auf ihrer Haut und zog rasch ihre Fellmütze und die Handschuhe an. Sie kramte den Schal aus ihrer Jackentasche, wickelte ihn zwei Mal um den Hals und schob ihn bis über die Nase. Den Blick auf Susan gerichtet, die in nördlicher Richtung aus dem Dorf stapfte, schnallte sie die Schneeschuhe an, die eine Frau

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