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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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jedoch wie eine Weiße und sprach auch so. Anscheinend war sie bei den Weißen aufgewachsen. Sie hielt den Whiskeykrug in der linken Hand und versteckte die rechte in ihrer Jackentasche, vielleicht um einen Revolver griffbereit zu haben, falls Susan handgreiflich wurde. In ihrem Blick lag so viel Spott, dass Clarissa am liebsten auf sie losgegangen wäre. Für eine Frau, die auf diese Weise ihre skrupellosen Geschäfte abwickelte und Susan dabei noch reinlegte, hatte sie nur Verachtung übrig.
    Bei ihrem Anblick erkannte sie auch, warum Bill die Hände gebunden waren. Ein stolzer Jäger wie er ging nicht gegen Frauen vor. Er war machtlos gegen sie, auch wenn sie ihn auslachte und sich über ihn lustig machte. Wenn er sie an die Polizei verriet, würde sie das Gegenteil behaupten oder ihn beschuldigen, den Whiskey gestohlen zu haben. Vielleicht würde sie sogar angeben, er habe sie mit einer Waffe bedroht und vergewaltigt. Einer Indianerin, die seit ihrer Geburt bei den Weißen lebte, würde man eher glauben als einer Säuferin und einem »wilden« Indianer aus dem Reservat. Keinem Indianer aus ihrem Dorf würde man glauben. Es war ähnlich wie in Clarissas Fall: Einem reichen Mann wie Frank Whittler glaubte man eher als einem unbedeutenden Dienstmädchen. Und einer »zivilisierten« Indianerin eher als einem »wilden Indianer«. Es sei denn … Es sei denn, eine weiße Frau zeigte sie an.
    Fest entschlossen und bevor sie Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen konnte, betrat sie die Höhle. Sie bedrohte die junge Indianerin mit dem Gewehr und konnte selbst nicht glauben, was sie sagte: »Nimm deine Hand aus der Tasche, und lass den Krug fallen! Hast du mich verstanden?«
    Die Indianerin war so überrascht, dass sie nicht einmal den Versuch unternahm, sich zu wehren. Ausdruckslos nahm die Hand aus der Tasche.
    »Und jetzt lass den Krug fallen! Wirf ihn zu Boden!«
    »Nein!«, schrie Susan in aufkommender Panik.
    Sie wollte sich auf die Indianerin stürzen, doch Clarissa kam ihr zuvor, riss der jungen Frau den Krug aus der Hand und schleuderte ihn gegen die Höhlenwand. Er zersprang in tausend Scherben, und der Whiskey plätscherte auf den felsigen Boden. Susan ließ sich fallen und griff mit den Händen in die Scherben, als könnte sie den Whiskey aufhalten; sie merkte gar nicht, wie sie sich die Finger an den Scherben aufriss und vor der Indianerin lächerlich machte.
    »Und jetzt verschwinde und lass dich hier nie wieder blicken!«, ermahnte Clarissa die junge Frau. Ihre Stimme blieb erstaunlich ruhig. »Oder was meinst du, wem man glauben wird, wenn ich erzähle, dass du verbotenen Handel mit einer Indianerin treibst? Deinen Lügen oder einer weißen Frau?«
    »Wer bist du? Was soll das?«, fand die Indianerin ihre Sprache wieder.
    Clarissa hütete sich, ihre Frage zu beantworten. »Verschwinde!«, sagte sie noch einmal. »Wenn ich dich noch mal erwische, wanderst du ins Gefängnis!«
    Die junge Indianerin erkannte, dass sie verloren hatte, und verließ die Höhle. Clarissa behielt das Gewehr schussbereit in den Händen, bis sie auf ihren Schlitten gestiegen und aus dem Tal verschwunden war. Erst dann ließ sie die Waffe sinken und kümmerte sich um Susan, die weinend im Whiskey lag.

28
    Susan tobte, als Clarissa sie vom Boden hochzog. Sie zeterte und schrie und trommelte mit beiden Fäusten auf sie ein, rutschte erschöpft an ihr herunter und umklammerte verzweifelt ihre Beine, bekam einen heftigen Weinkrampf, der erst nachließ, als Clarissa sie wieder hochzog und fest umarmte. »Es wird alles gut«, redete sie der Indianerin zu. »Es wird alles wieder gut, glaub mir!«
    »Whiskey! Gib mir Whiskey! Nur noch ein Krug, ein kleiner Krug!«
    »Du brauchst keinen Whiskey«, antwortete Clarissa, »niemand braucht das verdammte Feuerwasser. Schon gar nicht das gepanschte Zeug, das dir diese Indianerin verkauft hat. Wer weiß, was sie da reintut? Schießpulver, Rattengift … Ich hab die tollsten Sachen über diesen IndianerWhiskey gehört.« Sie verriet ihr nicht, dass sie ihre Weisheiten aus den Buffalo-Bill-Romanen hatte.
    »Nur ein bisschen, Clarissa! Nur ein kleines bisschen!«
    Clarissa drückte die heftig weinende Indianerin an ihre Brust. Ihr Schmerz und ihre Verzweiflung taten ihr in der Seele weh. »Gib dir ein paar Tage, Susan, dann hast du gar keine Lust mehr auf Feuerwasser.« Sie erinnerte sich an einen Fischer, einen schweren Trinker, der es geschafft hatte, zumindest für einige Wochen vom Alkohol

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