Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Holz, Wurzeln und essbarer Baumrinde beladen, und merkten gar nicht, dass sie plötzlich nicht mehr bei ihnen war. Eine der Frauen schüttelte schuldbewusst den Kopf, als Clarissa aus der Hütte trat und sie nach ihr fragte. »Susan? Das verstehe ich nicht. Eben war sie noch bei uns.« Sie drehte sich nach den anderen Frauen um. »Hat jemand Susan gesehen?«
Eine der jüngeren Frauen trat nach vorn. »Sie hat mir von einem Berghang erzählt, auf dem es viele Wurzeln geben soll. Westlich von der Lichtung, auf der wir gestern waren. Sie wollte morgen hin. Vielleicht ist sie heute noch …«
»Lass die Vorräte hier!«, ließ Clarissa sie gar nicht ausreden. »Eine andere Frau soll sich darum kümmern. Wir suchen nach ihr.« Sie kehrte in die Hütte zurück, zog ihre Wintersachen an und hängte sich die Schneeschuhe über die Schultern, falls sie im Tiefschnee suchen mussten. »Gehen wir«, forderte sie die junge Indianerin auf. »Wir müssen sie finden, bevor es zu dunkel wird.«
Behindert durch das dichte Schneetreiben, stapften Clarissa und die junge Indianerin, die von den Missionaren auf den Namen Jennifer getauft worden war und Jenny genannt werden wollte, in den Wald. Im Schutz der Bäume war die Sicht besser, obwohl der böige Wind die Flocken bis ins Unterholz blies und die Spuren der Frauen schon beinahe verdeckt hatte. Doch Jenny war den Trail während der vergangenen Jahre viele Male gegangen und blieb erst stehen, als sie die Lichtung erreicht hatten, auf der sie zuletzt gewesen waren. Sie deutete nach Westen. »Dort drüben muss es sein. Sie muss den Wildpfad genommen haben, der zum Bach hinunterführt. Der Hang, auf dem es so viele Wurzeln geben soll, liegt am anderen Ufer. Ich führe dich hin.«
Wenn Susan über den Wildpfad gegangen war, ließen sich ihre Spuren nicht mehr erkennen. Clarissa und Jenny gingen dennoch weiter und erreichten das Ufer des zugefrorenen Baches, der durch eine schmale Schneise zwischen den Bäumen floss. Obwohl ihnen der Schnee am Bachufer bis zu den Knien reichte, verzichteten sie darauf, ihre Schneeschuhe anzuschnallen. Schon nach wenigen Schritten hatten sie wieder einigermaßen festen Boden unter den Füßen und stiegen rasch den steilen Hang am anderen Ufer hinauf.
Ein Geräusch ließ Clarissa nach links blicken. Susan kniete auf allen Vieren im Schnee und schluchzte verzweifelt. Sie war so in ihren Schmerz vertieft, dass sie gar nicht merkte, wie die beiden Frauen zu ihr liefen, und Clarissa behutsam einen Arm um ihre Schultern legte. »Susan! Was machst du denn hier? Dir ist doch nichts passiert? Du hast doch nicht … Bist du okay, Susan?«
Susan schien sie gar nicht zu bemerken, sie weinte auch dann ungehemmt weiter, als Clarissa sie vom Boden hochzog und fest in die Arme schloss. Erleichtert darüber, dass sie keinen Whiskey roch, sagte sie: »Susan! Susan! Wir hatten schon Angst um dich! Die anderen Frauen sind alle schon zu Hause.«
Susan hörte auf zu weinen und löste sich von ihr. Mit vorwurfsvollem, beinahe gekränktem Blick stammelte sie: »Keine Wurzeln … hier …. Hier gibt es keine Wurzeln mehr … Wir werden alle verhungern … Ich bin so traurig …«
Clarissa wunderte sich nicht über die plötzlichen Stimmungswechsel bei Susan, die hatte sie bei dem Fischer in Vancouver auch beobachtet. Eben noch fröhlich und unbeschwert und im nächsten Augenblick zu Tode betrübt. »Lass uns nach Hause gehen, Susan«, sagte sie zu ihr. »Wir suchen morgen weiter. Es wird alles gut, du darfst jetzt nicht aufgeben, hörst du? Komm, wir gehen nach Hause. Bill freut sich bestimmt, wenn du nach Hause kommst.«
Ihre Worte, die eigentlich nur dazu bestimmt gewesen waren, Clarissa zu beruhigen, verfehlten ihre Wirkung nicht. Susan folgte ihr und Jenny willig ins Dorf zurück und konnte schon wieder lachen, als sie die Hütte erreichten. Billy schloss sie in die Arme, und seine Lippen bewegten sich zu einem stillen Gebet.
Zwei junge Männer begnügten sich nicht mit Beten. Sie verschwanden mit einem der Hundeschlitten aus dem Dorf und blieben so lange weg, dass einige Bewohner begannen, sich auch um sie Sorgen zu machen. Einer ihrer Freunde beruhigte den Häuptling, indem er sagte: »Sie suchen nach Wild. Sie sind gute Jäger. Sie haben versprochen, mit neuen Vorräten zurückzukehren.«
Wunuxtsin schien die Auskunft zu genügen, anscheinend vertraute er den jungen Jägern. Er nickte nur und kehrte in seine Hütte zurück. Clarissa entging allerdings nicht seine
Weitere Kostenlose Bücher