Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Gewehre weg, und lassen Sie dieses kindische Buffalo-Bill-und-die-Indianer-Spiel. Wir sind hier nicht im Wilden Westen.«
Der Rancher blickte sie erstaunt an und griff sich an die Hutkrempe, wie man es von einem Mann erwartete, wenn er einer Lady begegnete. »Ma’am … Ich hab Sie gar nicht gesehen. Was tut eine Weiße wie Sie bei den Shuswap?«
»Ich helfe ihnen, durch den strengen Winter zu kommen, und musste mir gerade anhören, dass die Weißen sie jahrzehntelang betrogen haben. Sie haben Hunger, Mister Flagler, sie haben großen Hunger, und einige von ihnen würden sterben, wenn sie dieses Rind nicht gestohlen hätten. Hören Sie denn nicht die Kinder weinen?« In einer der Hütten weinte tatsächlich ein Baby. »Sie brauchen dieses Fleisch, und wenn Sie ein Herz haben, dann schenken Sie es ihnen.« Sie blickte den Rancher auffordernd an. »Was ist mit den Gewehren? Wollen Sie die Waffen nicht endlich wegstecken? Wie gesagt …«
»… Wir sind hier nicht im Wilden Westen. Ich hab Sie schon verstanden, Ma’am.« Er steckte sein Gewehr in den Sattelschuh und forderte seine Cowboys mit einer Kopfbewegung auf, das Gleiche zu tun. »Wer sind Sie, Ma’am? Sind Sie eine Missionarin oder so was? Die Retterin der Indianer?«
»Ich bin Clara Holland«, erinnerte sie sich an ihren Decknamen und war froh, dass sie keiner der Indianer verbesserte, »und es ist schon einige Zeit her, dass ich eine Kirche von innen gesehen habe. Ich finde, hier draußen in der Natur kann man viel besser beten.« Sie lächelte hintergründig. »Nein, ich bin keine Missionarin. Ich hatte einen Unfall und habe es diesen Indianern zu verdanken, dass ich noch am Leben bin. Wie viel wollen Sie für das Rind?«
»Das ist unverkäuflich, Ma’am.«
»Sie wollen die Indianer anzeigen?«
»Unsinn!« Er ließ seinen Blick über die versammelten Indianer schweifen. »Wenn ich mir die Leute hier so ansehe, brauchen Sie noch zwei Rinder mehr, um einigermaßen über den Winter zu kommen. Die beiden Rinderdiebe können mit uns kommen und noch zwei Tiere schlachten. Ich bin sowieso fast pleite, da machen die paar Rinder auch nichts mehr aus. Verstehen Sie mich?«
Clarissa glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, und das breite Lächeln in den Gesichtern der meisten Dorfbewohner zeigte dem Rancher, dass ihn auch die Indianer verstanden hatten. Sie konnten ihr Glück kaum fassen. Einige Frauen machten sich sofort daran, das Fleisch in die Vorratshäuser zu bringen, und der Häuptling verneigte sich dankbar vor dem Rancher. »Es gibt noch gute weiße Männer«, sagte er. »Das werden wir Ihnen nicht vergessen, Mister.«
»Und ich dachte …«, begann Clarissa. Auch sie konnte nicht glauben, was Flagler den Indianern angeboten hatte. »Sie sind ein guter Mann, Mister.«
»Jimmy … Sagen Sie Jimmy zu mir.« Er betrachtete sie lange. »Haben Sie vielleicht Lust, mit uns zu kommen, Ma’am? Wir sind zu dritt auf der Yellow Rose, und der alte Sam, der bisher für uns gekocht hat, ist leider vor einigen Monaten gestorben. Wir bräuchten dringend eine Haushälterin oder so was.«
»Oder so was?«
»Nicht das, was Sie denken, Ma’am. Ich hab mit den Frauen nichts mehr im Sinn, und Ted und Rocky, die haben andere Interessen. Erzähle ich Ihnen später mal, wenn die beiden nicht zuhören.« Er drehte sich grinsend zu seinen Cowboys um. »Wir brauchen eine Frau, die sich nicht zu schade ist, auch mal zuzupacken, den Haushalt schmeißt, die Wäsche wäscht, uns was Anständiges zu essen kocht, und wenn’s sein muss, auch mal auf der Weide hilft.« Er blickte sie forschend an. »Sie sehen so aus, als könnten Sie das alles, Ma’am.«
»Clara«, verbesserte sie ihn. »Auf der Weide helfen? Wie ein Cowgirl?«
»Können Sie reiten?«
»Nicht besonders. Hab’s auf einem Ackergaul gelernt.«
»Dann bringe ich es Ihnen bei. Wenn Sie einmal auf einem richtigen Cowboypferd gesessen haben, wollen Sie nicht mehr runter, wollen wir wetten?«
Clarissa gefiel der Rancher nicht nur, weil er die Indianer beschenkt hatte. Seine bedächtige Art und sein schleppender Dialekt strahlten etwas Beruhigendes aus, und in seinen Augen lag eine Wärme, wie man sie bei wenigen Männern in seinem Alter fand. Er war aufrichtig und warmherzig, zwei Eigenschaften, die nur wenige Männer in sich vereinten. Und als Haushälterin auf einer einsamen Ranch war sie vielleicht sicherer als bei den Indianern. Es machte sicher mehr Spaß, einem betagten Rancher den Haushalt zu führen, als
Weitere Kostenlose Bücher