Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
wurde, der sie unbedingt ins Gefängnis bringen wollte? Und der sich auch an Alex rächen und verhindern wollte, dass sie mit dem Fallensteller glücklich wurde? Sie fragte sich, wie sie mit dieser neuen Herausforderung umgehen sollte.
Sie ging zu dem Medizinmann und grüßte ihn höflich. »Ich würde gern mit dir reden, Großvater.« Inzwischen hatte sie gelernt, dass »Großvater« keine verwandtschaftliche, sondern eine respektvolle Anrede gegenüber einem weisen Mann wie Hört-den-Donner war. Sie kannte sogar das indianische Wort dafür.
Hört-den-Donner bedankte sich mit einem huldvollen Lächeln und führte sie in seine Erdhütte. Sie war kleiner als die Behausung von Bill und Susan, aber ähnlich eingerichtet, und an den Wänden hingen Amulette und Zeichnungen von Kindern. »Von unseren Kindern, die in der Missionsschule waren«, erklärte er, als er ihre erstaunten Blicke bemerkte. »Nicht alles, was uns die Weißen beibringen, ist schlecht. Ich freue mich, wenn unsere Jüngsten in die Schule gehen und Englisch lernen. Nur so werden sie in eine bessere Zukunft gehen.« Er deutete auf eine bunte Zeichnung, die einen Jäger mit Pfeil und Bogen zeigte. »Doch sie dürfen niemals vergessen, woher sie kommen.«
Clarissa wartete, bis sich Hört-den-Donner an seinen Platz vor dem Feuer gesetzt hatte, und ging erst in die Knie, nachdem er sie dazu aufgefordert hatte. Wie es bei den Indianern üblich war, sprachen sie eine Weile über belanglose Dinge wie das Wetter, bevor er fragte: »Was hast du auf dem Herzen?«
»Susan«, erwiderte sie, obwohl sie ahnte, dass er die Antwort bereits kannte. »Sie ist dem Feuerwasser verfallen, und ihr Mann und ich versuchen, sie davon abzubringen. Wenn das die gute Tat ist, die ich eurem Stamm schuldig bin, ist es eine fast unlösbare Aufgabe. Was soll ich nur tun, Großvater?«
»Du bist uns nichts schuldig, Schwester.« Auch er benutzte eine Anrede, die seinen Respekt gegenüber der weißen Frau ausdrücken sollte. »Wir helfen allen Menschen, die sich in Not befinden. Was du tust, tust du freiwillig.« Er lächelte kaum merklich. »Aber in meinen Träumen habe ich gesehen, dass du nicht untätig in einer Hütte sitzen und darauf warten würdest, dass sich der Wintergeist nach Norden zurückzieht. Du bist nicht wie die anderen Weißen. Du bist dir nicht zu schade, den Frauen beim Holzsammeln zu helfen. Beim Potlatch hast du ein Geschenk gegeben. Und du bist dem Ruf der guten Geister gefolgt, um Susan zu helfen, dem Feuerwasser abzuschwören und auf den rechten Weg zurückzufinden. Dafür sind wir dir sehr dankbar, Schwester.«
»Aber die Macht des Feuerwassers ist stark«, erwiderte sie. »Bill und ich helfen seiner Frau, so gut wir können, aber es ist ein Kraft raubender Kampf, und ich weiß nicht, ob wir ihn gewinnen können. Hilf uns dabei, Großvater!«
»Das tue ich bereits, Schwester. Ich bete jeden Tag für Susan, zu den guten Geistern und sogar zu eurem Gott, um ihr in diesem Kampf beizustehen. Ich weiß, wie schwer dieser Kampf ist. Vor vielen Jahren war ich selbst dem Feuerwasser verfallen und brauchte lange, um von diesem bösen Zauber loszukommen und zu meiner wahren Bestimmung zurückzufinden. Wir können Susan den Kampf nicht abnehmen. Sie muss selbst erkennen, dass sie auf dem falschen Weg war, und sie muss die starken Schmerzen, mit denen sie die bösen Geister quälen, erdulden. Wir können ihr nur dabei helfen.«
Ohne sich abzusprechen, wechselten sich Clarissa und Bill in ihrem Kampf für Susan ab. Bill kümmerte sich nachts um sie, hielt sie fest in den Armen und redete beruhigend auf sie ein, wenn die Schmerzen zu groß wurden, und Clarissa blieb tagsüber in ihrer Nähe, ohne sie es allzu deutlich merken zu lassen und sie zu bedrängen. Sie half ihr bei der Hausarbeit und beim Kochen und achtete darauf, dass sie viel an die frische Luft kam, beim Holzsammeln und bei gelegentlichen Wanderungen, die sie auf Schneeschuhen in die nähere Umgebung unternahmen. Die Anstrengung und die eisig kalte, aber frische Luft lenkten nicht nur Susan von ihren Schmerzen und ihrem Kummer ab, sie halfen auch Clarissa, in ihrer Sorge um Alex nicht zu verzweifeln und sich damit zu trösten, dass er nur für kurze Zeit im Gefängnis landen und nach ihr suchen würde, sobald er entlassen wurde. Wenn Gott wollte, dass sie ein Paar wurden, würde er sie wieder zusammenführen … Irgendwann.
Jeder Tag brachte Susan weiter voran. Als würde die frische Luft, die sie
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