Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Jagdgründe vorgedrungen waren, hatte es noch genug Wild gegeben, sodass keine Not während des Winters herrschte. Die meisten Bewohner hatten sich an die neuen Bedingungen gewöhnt und beklagten sich nicht, sie waren guter Hoffnung, auch diesmal wieder zu überleben, bis die warme Jahreszeit zurückkehrte und sie in ihr Sommerlager am Ufer des Fraser Rivers zurückkehren konnten.
Doch der Wintergeist war diesmal besonders zornig und schien es darauf abgesehen zu haben, sich einige Opfer zu holen, bevor er sich endgültig der Frühlingssonne beugte. Noch unbarmherziger als sonst blies er seinen frostigen Atem in ihr Tal, ließ den Wind mit einer solchen Urgewalt durch das Tal toben, dass sich die Bäume und Sträucher bogen und der Schnee in heftig flatternden Schleiern von den Hüttendächern flog. Selbst die Huskys duckten sich unter der unmenschlichen Kälte und kauerten sich im Windschatten der großen Versammlungshütte zusammen. Ein Schlitten flog gegen eine Hüttenwand und blieb mit einer gebrochenen Haltestange liegen, von einem Hausdach lösten sich Eisbrocken und zerschellten vor dem Eingang, und wer immer den Schutz seiner Hütte verließ und sich ins Freie wagte, konnte von Glück sagen, wenn ihn der starke Wind nicht zu Boden warf. Der Winter versuchte mit aller Macht, in ihrem Tal zu bleiben, und je länger er durchhielt, desto größer wurde die Not in den Hütten. Die Vorräte gingen zur Neige.
Wie ernst die Lage war, wurde Clarissa bewusst, als sie Hört-den-Donner im treibenden Schnee stehen und zu den Geistern beten sah. Die Hände zum Himmel erhoben, bat er sie um Beistand, mit Beschwörungsformeln und dem rhythmischen Rasseln eines Glücksbringers versuchte er, den Winter zu vertreiben. Doch auch seine Fähigkeiten waren begrenzt, und der zornige Wintergeist schien ihn sogar auszulachen, als er seine Worte mit einem lauten Heulen erstickte und ihn mit einem heftigen Windstoß von den Beinen riss.
Clarissa, die gerade auf dem Weg zu ihm gewesen war, rannte zu ihm und half ihm auf. Er nickte dankbar und ließ sich von ihr zu seiner Hütte zurückführen. Er bat sie herein, und sie nahm dankend an. Ohne das übliche Vorgeplänkel kam sie gleich zur Sache: »Ich habe noch etwas Geld, Großvater. Einer der Männer könnte zum Handelsposten fahren und Lebensmittel kaufen.«
»Für das ganze Dorf?« Hört-den-Donner schüttelte den Kopf. »Selbst wenn du einen ganzen Beutel voll Münzen hättest, würde das Geld dafür nicht reichen. Der Händler erhöht die Preise, wenn er sieht, dass wir Not leiden. So hat er es schon immer getan. Daran kannst auch du nichts ändern, Schwester.«
»Aber irgendwas müssen wir tun, Großvater!«
Er nickte schwach. »Beten, Schwester. Beten.«
29
Clarissa merkte weder, dass Weihnachten war, noch, dass ein neues Jahr begann. Der Wintergeist hielt das Dorf fest in seinen Klauen und ließ keine anderen Gedanken zu. Die Lebensmittel in den Vorratskammern nahmen rapide ab, die Portionen wurden noch kleiner, und in den meisten Hütten gab es bereits einen Eintopf, der so wenig gehaltvoll war, dass er eher an eine dünne Suppe erinnerte. Vor allem beim Anblick der weinenden Kinder stand Clarissa nicht der Sinn danach, ihr eigenes Schicksal zu bedauern und zu befürchten, Frank Whittler könnte es durch Zufall in das Indianerdorf verschlagen. Auch Alex verschwand für einige Zeit aus ihren Gedanken, tauchte nur einmal in ihren Träumen auf, als sie ihn in Handschellen in einem Zug sitzen sah, von Frank Whittler bewacht und auf dem Weg in ein Gefängnis für Schwerverbrecher.
Beim Essen hielt sie sich zurück, sie wollte den Leonards auf keinen Fall auf der Tasche liegen. Sie zog sogar mit einigen Frauen in die Wälder, um unter dem Schnee nach essbaren Wurzeln zu graben, kannte sich aber zu wenig aus und war eine größere Hilfe beim Holzsammeln.
Auch die Holzvorräte schrumpften immer schneller, und die Frauen mussten jeden Morgen tiefer in den Wald vordringen, um Brennmaterial zu finden. Erleichtert war sie nur darüber, Susan nicht mehr bei jedem Schritt im Auge behalten zu müssen. Ihre Gastgeberin hatte sich gut erholt und bekämpfte die Sucht, die wohl noch lange in ihr sein würde, mit verstärkten Anstrengungen bei der Arbeit. Fast immer sammelte sie das meiste Holz und die meisten Wurzeln.
Ausgerechnet an einem der Tage, die Clarissa in der Hütte verbracht hatte, kehrten die Frauen ohne Susan zurück. Im dichten Schneetreiben traten sie aus dem Wald, mit
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