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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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seine Männer, und in den Ausläufern der Berge, denen sie entgegenlief, gab es wenigstens die Hoffnung. Vor fünfzig Jahren waren Goldsucher in diese Wildnis gedrungen. Irgendwo musste es noch eine verfallene Hütte oder einen Unterschlupf geben. Also hielt sie weiter auf die Berge zu, in der Hoffnung, durch Zufall auf so einen Unterschlupf zu stoßen.
    Unglücklicherweise nahm das Schneetreiben zu. Als sie den nördlichen Rand der Lichtung erreicht hatte, war der Flockenwirbel so dicht, dass sie kaum noch die Hand vor Augen sah. Um gegen den heftigen Wind anzukommen und nicht im Schnee zu landen, musste sie gebückt gehen und sich mit aller Macht gegen die Böen stemmen. Dunkel und abweisend hoben sich die Fichten gegen den hellen Schnee ab, und doch war der Wald ihre einzige Rettung.
    Nur wenige Minuten hielt sie zwischen den Bäumen inne. Als sie merkte, wie ihre Muskeln erschlafften und sie am liebsten zu Boden gesunken und eingeschlafen wäre, lief sie rasch weiter. Die Gefahr, selbst im Stehen oder an einen Baum gelehnt einzuschlafen, war zu groß. Lauf weiter, feuerte sie sich an, gib jetzt nicht auf, du bist Whittler ein zweites Mal entkommen und darfst ihm diesen Triumph nicht gönnen. Setz einen Fuß vor den anderen, immer weiter, immer weiter, schon bald geht die Sonne auf, dann bist du gerettet!
    Wieder stieg sie durchs Unterholz, trotzte der Dunkelheit in dem dichten Fichtenwald und kämpfte verzweifelt gegen ihre Müdigkeit an. Wie spät war es wohl? Nach Mitternacht? Drei, vier oder gar schon fünf Uhr? Sie hatte das Gefühl, schon viele Stunden unterwegs zu sein. Doch sie lief weiter nach Norden, so hoffte sie jedenfalls, dem Waldrand entgegen. Einen Moment hatte sie das Gefühl, an derselben Lichtung wie vor einigen Stunden anzukommen, als sie zwischen den Bäumen stehen blieb und unschlüssig in den wirbelnden Schnee blickte, bis sie einen zugefrorenen Bach im Schneetreiben erkannte und die dunklen Umrisse einer Hütte im Flockenwirbel ausmachte.
    Zuerst glaubte sie an eine Sinnestäuschung, doch dann lichtete sich das Schneetreiben für einen Augenblick, und sie erkannte, dass sie sich nicht geirrt hatte. Unweit des Waldrandes erhob sich eine Blockhütte am Bachufer.
    Von neuer Hoffnung beseelt, hielt sie darauf zu.

8
    Die Hütte sah bewohnt aus. Über dem Ofenrohr, das aus dem giebelförmigen Dach ragte, glaubte sie eine dünne Rauchfahne zu erkennen, und unter dem einzigen Fenster lagen leere Fressnäpfe und ein angenagtes Hundegeschirr im Schnee. »Hallo, das Haus!«, rief sie müde, ein alter Westerngruß, den sie von ihrem Onkel auf der Farm gelernt hatte. So rief man im amerikanischen Westen, wenn man sich einer Ranch oder einer Farm näherte, um seine freundlichen Absichten zu zeigen und nicht von einer Kugel getroffen zu werden. »Ist da jemand?« Sie blieb neben der Tür stehen und lehnte sich gegen die Wand.
    Als niemand antwortete, öffnete sie die Tür. Angenehme Wärme empfing sie. Durch die Herdplatte auf dem Kanonenofen, der mitten im Raum stand, schimmerte Glut, das einzige Licht in der Hütte. Sie drückte die Tür hinter sich zu und lehnte sich erschöpft dagegen. Geduldig wartete sie, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und sie sicher sein konnte, dass sich tatsächlich niemand in der Hütte befand. In der Stille waren nur das leise Knistern des heruntergebrannten Feuers und das Heulen des Windes zu hören.
    Auf dem Holztisch neben dem Fenster stand eine Petroleumlampe. Sie zog ihre Handschuhe aus, suchte in der Schublade nach Streichhölzern und atmete erleichtert auf, als sie eine Schachtel fand. Mit klammen Händen hob sie den Glasbehälter, riss eines der Hölzer an und setzte den Docht in Brand. Mit dem kleinen Metallrädchen, das seitlich angebracht war, schraubte sie den Docht nach oben, bis der Raum hell erleuchtet war, und drückte den Glasbehälter wieder in die Fassung. Immer noch durchgefroren, nahm sie einige Holzscheite vom Stapel neben dem Ofen und fütterte das Feuer, das bereits zu erlöschen drohte. Dankbar beobachtete sie, wie sich die Flammen in das neue Holz fraßen und im Ofen nach oben züngelten. Die Wärme brannte in ihrem Gesicht.
    Während sie ihre Hände über der Herdplatte wärmte, blickte sie sich in der Hütte um. Viel gab es nicht zu sehen. Einen Holztisch mit zwei Stühlen, einen alten Küchenschrank, eine Kommode, auf die jemand eine altmodische Waschschüssel gestellt hatte. Daneben stand ein Eimer mit klarem Wasser. Auf dem

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