Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
nicht mal ihren Mantel angezogen und stand in Rock und Bluse vor ihm. »Wir sollten ins Haus gehen und frühstücken, bevor wir uns weiter streiten.«
»Alex Carmack.« Er schien nicht so recht zu wissen, was er von ihr halten sollte. »Gehen Sie schon mal vor, Lady. Ich muss die Hunde versorgen.«
Sie ging ins Haus und setzte Kaffee auf. Damit er nicht so schwach wie am vergangenen Abend schmeckte, schüttete sie etwas mehr Pulver hinein. Während das Wasser in der Kanne brodelte, trat sie vor die Kommode und ertappte sich dabei, wie sie in die Spiegelscherbe blickte und notdürftig ihre Haare richtete. Die unnatürliche Röte war aus ihrem Gesicht gewichen, und die Ringe unter ihren Augen waren verschwunden, aber sie sah immer noch erschöpft und müde aus, obwohl sie den ganzen Tag und die ganze Nacht geschlafen hatte. Es würde wohl noch ein paar Tage dauern, bis sie wieder bei Kräften war.
Durchs Fenster beobachtete sie, wie Alex die Huskys von ihren Geschirren befreite, sieben prächtige Hunde, die wohl noch die Witterung des Wolfs spürten und aufgeregt jaulten. Er beruhigte sie mit sanfter Stimme und hatte für jeden der Hunde einen freundschaftlichen Klaps und ein paar Worte übrig.
Er war ein stattlicher Mann, gestand sie sich widerwillig ein. Selbst in seinem gefütterten Anorak, der bis auf die Knie reichte, und seiner Fellmütze machte er eine gute Figur. Sein Gesicht war kantig und wirkte durch die leicht hervorstehenden Backenknochen fast indianisch; diesen Eindruck verstärkten auch das pechschwarze Haar, das unter seiner Fellmütze hervorragte, und seine dunklen Augen. An seinem Lächeln und der bedächtigen Art, wie er mit den Hunden umging, erkannte man, wie gern er mit ihnen arbeitete. Alex und seine Huskys waren ein eingeschworenes Team, so wie Buffalo Bill und sein weißes Pferd in der Geschichte, die sie am vergangenen Abend gelesen hatte.
Nachdem er die Geschirre in einer Holzkiste verstaut und den Schlitten neben das Haus geschoben hatte, fütterte er die Hunde mit den Resten eines Eintopfs aus Lachs und Reis, den er in einem Behälter auf seinem Schlitten aufbewahrt hatte. Sie machten sich heißhungrig darüber her. Mit seinem Gewehr und frischen Fellen kam er ins Haus. Er warf die Felle auf eine Kiste, legte das Gewehr auf die eisernen Haken über der Tür, nahm den Eimer mit dem frischen Wasser und verschwand erneut nach draußen. Erst nachdem er die Wassernäpfe der Hunde gefüllt und noch einmal mit ihnen gesprochen hatte, kehrte er zurück.
Sie war bereits dabei, ein Frühstück aus Käse, Speck und dem Zwieback, den sie im Küchenschrank gefunden hatte, zu bereiten, und beobachtete verstohlen, wie er seine Mütze, die Handschuhe und den Anorak auszog. Darunter trug er eine Baumwollhose und einen Wams aus Karibuleder. Er trat vor den Ofen, stellte zufrieden fest, dass Clarissa genug Holz nachgelegt hatte, und rieb seine Hände gegeneinander. Seine dunklen Augen leuchteten wie glühende Kohlen in dem Feuerschein, der durch den Spalt um die Herdplatte aus dem Ofen drang. Der mehrere Tage alte Bart und sein von Wind und Wetter gebräuntes Gesicht ließen ihn ungewöhnlich männlich erscheinen, ähnlich wie einige der jungen Fischer, die sie in Vancouver kennengelernt hatte, nur dass sie keiner von denen aus so ausdrucksstarken Augen angesehen hatte.
Clarissa reichte ihm einen Becher Kaffee und grinste schwach. »Und jetzt wollen Sie wahrscheinlich wissen, was eine Frau wie ich in dieser Wildnis zu suchen hat, und wie ich dazu komme, mich in Ihrer Hütte einzuquartieren.«
»Wäre das zu viel verlangt?«
Sie deutete auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich!«
»Wird es so schlimm?«
»Damit ich Ihnen was zu essen geben kann«, erwiderte sie. Das schwache Grinsen war verschwunden. Sie wartete, bis er sich gesetzt hatte, und stellte ihm den Teller hin. »Was anderes habe ich leider nicht gefunden.« Sie schenkte sich selbst ein, schnitt etwas Käse und Schinken ab und setzte sich ihm gegenüber. »Ich bin auf der Flucht«, begann sie nach einer längeren Pause und berichtete ihm in knappen Worten, was sie während der letzten Tage erlebt hatte. »So, jetzt wissen Sie’s«, endete sie. »Wenn Sie meinen, Sie müssten mich nach Ashcroft bringen und der Polizei ausliefern, werde ich Sie nicht daran hindern können. Aber wenn Sie es tun, müssen Sie mich fesseln, denn ich werde auf jeden Fall versuchen, Ihnen davonzulaufen. Frank Whittler ist ein ekelhafter Lügner, und ich werde ihm
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