Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
tief durch und wartete, bis er wieder einigermaßen klar sehen konnte. »Du musst mir helfen!«
Wenn ein Mann wie er so etwas sagte, stand es schlimmer um ihn, als er zugeben wollte, vermutete Clarissa. Sie schlang beide Arme um seine Hüften und half ihm aufzustehen. Als er es endlich geschafft hatte, blieben sie beide schwankend stehen. Ein Unbeteiligter hätte sicher vermutet, sie würde einen Betrunkenen stützen, nur dass Alex weder nach Alkohol roch noch unzusammenhängende Worte lallte, stattdessen leise fluchte und sich verzweifelt bemühte, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Für einen Augenblick genoss sie seine Nähe und seine Wärme, um gleich darauf wieder sein Gewicht zu spüren und sich zu fragen, wie sie es schaffen könnte, ihn über die Böschung zum Trail hinaufzubringen. Wenn er ihr nicht half, würden sie es niemals schaffen, und sie war tatsächlich auf die Hunde angewiesen.
Wie sie es schaffte, vermochte sie später nicht mehr genau zu sagen. Es war wohl dem Adrenalin, das durch ihren Körper pulsierte, und ihrer finsteren Entschlossenheit zu verdanken, dass sie ihn dazu brachte, einen Fuß vor den anderen zu setzen und nach einer Zeit, die ihr wie zwei oder drei Stunden vorkam, endlich den Trail zu erreichen. Dort sank er erschöpft zu Boden. »Dass mir mal eine … eine Frau aus der Patsche helfen … würde, hätte ich … ich auch nicht gedacht! Verdammt, ich glaube … glaube, ich werde langsam alt.«
»Warte hier!«, sagte sie. »Ich hole die Hunde und den Schlitten.«
Wieder durch den Tiefschnee nach unten zu stapfen, die ungeduldigen Huskys aus den verschlungenen Leinen zu befreien und sie mit dem Schlitten über die Böschung zu treiben und zu schieben, dauerte noch mal so lange wie der anstrengende Marsch mit Alex. Es dämmerte bereits, als sie den Trail erreichte, und sie war so erschöpft, dass sie erst einmal zu Boden sank und minutenlang nach Luft rang, bevor sie einen weiteren Gedanken fassen konnte.
Erst als Billy sich ihr näherte und seine raue Zunge über ihre Wange gleiten ließ, löste sie sich aus ihrer Erstarrung und stemmte sich seufzend vom Boden hoch. Wie mit Alex blieb sie eine Weile schwankend stehen, bevor sie zu dem Fallensteller ging, ihn vom Boden hochzog und zum Schlitten führte.
»Und ich dachte, du hältst da unten ein Picknick ab und kommst gar nicht mehr«, sagte er. In seinen Augen war schon wieder der Anflug seines jungenhaften Grinsens zu erkennen. »Ich hab schon gemütlicher den Tag verbracht.«
»Kann ich mir vorstellen«, erwiderte sie.
Sie wickelte ihn in alle verfügbaren Decken und sorgte dafür, dass er einigermaßen bequem auf dem Schlitten saß. Seine Gehirnerschütterung war anscheinend nicht so schwer, wie sie befürchtet hatte, dennoch musste sie vorsichtig sein und ihm die Fahrt so angenehm wie möglich gestalten. Mit zu hohem Tempo und gewagten Manövern riskierte sie seine Gesundheit.
Sie stieg auf das Trittbrett und trieb die Hunde an. » Easy! «, warnte sie den Leithund. »Alex geht es nicht besonders. Seid schön vorsichtig, hört ihr?«
Die Hunde schienen sie zu verstehen und fielen in einen leichten Trab, nicht zu zügig, aber auch nicht zu langsam, genau das richtige Tempo, um die Hütte so schnell und so sicher wie möglich zu erreichen. Jetzt machte sich ihre Arbeit vom frühen Morgen bezahlt, denn auf dem Trail, den sie in den Tiefschnee gestampft hatte, bewegten sich die Kufen besonders sicher, und der zu beiden Seiten angehäufte Schnee gewährleistete, dass sie nicht aus der Spur gerieten. Die Sonne war bereits hinter den fernen Bergen verschwunden, und geheimnisvolles Zwielicht lag über dem verschneiten Tal. Am Himmel, der sich ungewöhnlich weit über dem Tal wölbte, flammten die ersten Sterne auf.
Vor der Hütte rammte Clarissa den Anker in den Schnee und brachte Alex ins Haus. Sie half ihm, die Winterjacke und die Stiefel auszuziehen, und versprach ihm, sich um ihn zu kümmern, sobald sie die Hunde gefüttert hatte.
»Solange du mich nicht ausziehst«, sagte er schon halb schlafend.
Clarissa war selbst todmüde und erledigte die Arbeit fast mechanisch. Inzwischen hatte sie oft genug beim Füttern der Huskys geholfen, um zu wissen, was man dabei beachten musste. »Da haben wir noch mal Glück gehabt, was?«, sagte sie zu Billy, dessen Trog sie wie immer zuerst füllte. »Keine Angst, niemand macht euch einen Vorwurf. Euch trifft keine Schuld. Dass der Wolf quer über unseren Trail springt, konnte doch
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