Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
ihm in die Quere kamen. Sie waren ihm zu nahe gekommen: Alex, der irgendwo im Schnee lag und anscheinend bewusstlos war; die Huskys, die sich in ihren Leinen verheddert hatten und in einiger Entfernung jaulend im Schnee lagen, anscheinend unverletzt, aber unfähig, sich gegen einen Wolf zu wehren.
Doch während Clarissa noch die Bestie anstarrte, schob sich ein zweiter Wolf in ihr Blickfeld, und ihr Herz machte einen Sprung. »Bones!«, flüsterte sie ungläubig. Auch er sah nicht gerade vertrauenerweckend aus, sein Maul war blutig, und an einem seiner Reißzähne hing noch ein Fleischfetzen, aber tief in seinen Augen leuchtete das warme Licht, das ihr schon aufgefallen war, als sie ihn verletzt im Schnee gefunden und verarztet hatte. Ein dankbares Funkeln, wie sie sich einbildete, und tatsächlich wandte sich Bones mit einem warnenden Blick an seinen Kollegen und schien ihm zu verstehen zu geben, dass die Zweibeinerin seine Freundin war und unter seinem persönlichen Schutz stand. Eine Warnung, die der mächtige Wolf nicht zu beachten brauchte, denn er schien der Anführer des Rudels zu sein und wirkte wesentlich kräftiger und gefährlicher als der schmächtige Bones. Doch er gehorchte, zog unwillig knurrend davon und kehrte zu den anderen Wölfen und seiner Beute zurück, als gingen ihn die gestürzten Zweibeiner und die Huskys nichts an. Bones schien besonderen Respekt innerhalb des Rudels zu genießen, vielleicht sogar ein geheimnisvoller Einzelgänger zu sein, der nur sporadisch bei dem Rudel auftauchte und ansonsten seine eigenen Wege verfolgte.
»Danke, Bones«, flüsterte Clarissa, doch auch ihr vierbeiniger Freund war schon wieder verschwunden und hatte sich zum Rudel zurückgezogen. Aus der Ferne beobachtete Clarissa, wie die Wölfe an dem Elchkadaver rissen.
Als sie sich aus ihrer Benommenheit löste, waren die Wölfe verschwunden. Einen Augenblick hatte sie das Gefühl, alles nur geträumt und sich eingebildet zu haben, aber die Überreste des jungen Elchs lagen immer noch im Schnee, und die Spuren von zwei Tieren führten direkt zu ihr. Der Fleischfetzen, den Bones zwischen den Zähnen gehabt hatte, lag vor ihr.
»Bones!«, flüsterte sie wieder.
15
Alex war mit dem Kopf gegen einen Eisbrocken geschlagen und noch immer benommen, als Clarissa ihn endlich fand. »Alex! Mein Gott, Alex! Bist du schlimm verletzt?«, fragte sie, während sie ihn aus dem tiefen Schnee grub.
»Nichts passiert, nur … nur ein bisschen Kopfweh.« Er griff sich an den Hinterkopf und wollte sich aufsetzen, sank aber sofort wieder stöhnend zurück. »Das wird wieder!« Er blieb eine Weile sitzen und wartete, bis der Schmerz etwas nachließ. »Bist du okay? Wie … Wie geht es den Hunden?«
»Ich bin unversehrt«, sagte sie. »Die Huskys haben sich in den Leinen verheddert, aber verletzt hat sich keiner. Die Wölfe sind verschwunden.« Sie dachte nicht daran, ihm von Bones zu erzählen, er hätte ihr sowieso nicht geglaubt. »Ich muss selbst für einige Zeit weg gewesen sein. Als ich aufwachte, waren sie nicht mehr da. Wir haben Glück gehabt, Alex, das hätte wesentlich schlimmer ausgehen können. Bist du sicher, dass du okay bist, Alex?«
»Gib mir ein paar Minuten, Clarissa, dann bin ich wieder wie neu. Ich liege nicht zum ersten Mal auf der Nase. Ich hab schon ganz andere Sachen überstanden, zum Beispiel die Sache mit dem Grizzly damals …« Er verzog das Gesicht vor Schmerz und griff sich erneut an den Hinterkopf. Er spürte eine blutige Beule. »Ich muss irgendwas gegen den Kopf bekommen haben, einen Eisbrocken oder so was. Egal, das … Das wirft mich nicht um.«
»Du hast bestimmt eine Gehirnerschütterung. Damit muss man vorsichtig sein.« Sie wischte ihm den Schnee aus dem Gesicht und von den Haaren. »Meinst du, du kannst aufstehen? Wir müssen zum Trail hoch, wenn wir heute noch bis zur Hütte kommen wollen. Schaffst du das, Alex? Ich hab keine Lust, dich den ganzen Weg zu tragen. Das würde nicht mal ein Lastesel schaffen. Ich könnte dich natürlich von den Huskys ziehen lassen …«
»Wie einen Kadaver?« Er schüttelte den Kopf und bereute die Bewegung sofort, unterdrückte den plötzlichen Schmerz mit einer Grimasse. »Kommt gar nicht infrage. Das schaffe ich … ich schon allein.« Er stemmte sich vom Boden hoch und blieb auf den Knien sitzen. Eine Weile blickte er orientierungslos nach vorn. »Verdammt, mir verschwimmt alles. Der Schlag war wohl doch ein bisschen zu heftig.« Er atmete ein paar Mal
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