Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Wolfsrudel oder irgendeiner anderen Bedrohung, die auf sie zukam.
Clarissa saß verkampft auf dem Schlitten. Allein der Anblick der schweren Waffe hatte ihr Angst eingejagt, und die Vorstellung, sie könnten einem gierigen Wolfsrudel oder anderen wilden Tieren in die Quere gekommen sein, ließ ihr Herz bedrohlich schnell klopfen. Von einem Fischer, der jahrelang als Dompteur bei einem Zirkus gearbeitet hatte und sich mit wilden Tieren auskannte, hatte sie gehört, dass Grizzlys den Menschen selbst im Winter gefährlich werden konnten. Angeblich hielten sie keinen richtigen Winterschlaf, sondern wachten mehrmals auf und streiften sogar vor ihren Höhlen umher.
»Giddy-up! Vorwärts!«, trieb Alex die Hunde an.
Die Huskys rannten noch schneller als in der Schneise, sie flogen beinahe über den Schnee. Die Kufen des Schlittens kratzten über den eisigen Boden. Eisiger Fahrtwind blies ihr ins Gesicht, inzwischen fühlte er sich frostig und bedrohlich an. Selbst die Sonne passte sich der bedrückten Stimmung an und verzog sich hinter den Wolken, was den Schnee und blass und bedrohlich erscheinen ließ, weil aller Glanz verschwand. Clarissa blickte angestrengt nach vorn. Sie hatte ihren Schal bis zur Nase hochgeschoben, um besser gegen den eisigen Wind geschützt zu sein, und verharrte leicht geduckt und mit angespannten Muskeln auf dem Schlitten, als erwartete sie einen feindlichen Angriff.
Das Unglück geschah in einer lang gezogenen Kurve, die selbst ihr kaum Schwierigkeiten bereitet hätte. Nur wenige Schritte vor ihnen kreuzte plötzlich ein Wolf den Trail und sprang über die Böschung. Er schien sie gar nicht zu bemerken und nur daran interessiert zu sein, so schnell wie möglich zu seinen Artgenossen zu kommen, die irgendwo auf dem Hang sein mussten. Clarissa bekam sie nur für einen Sekundenbruchteil zu sehen, in dem winzigen Augenblick, bevor die Hunde nach links ausbrachen: fünf oder sechs ausgewachsene Wölfe, die im Tiefschnee um einen erlegten Elch herumstanden und ihm das Fleisch aus dem Körper rissen. Ein Anblick, der sie so erschreckte, dass sie erstarrte und nicht einmal zu einem Schrei fähig war.
Alex reagierte bewusster und trieb die Hunde mit ein paar scharfen Kommandos von der Böschung weg, doch der springende Wolf hatte sie zu sehr erschreckt, und nur Billy zog nach links. Obwohl er blitzschnell reagierte, schaffte er es nicht, die anderen Hunde mitzunehmen. Der Schlitten geriet ins Schlingern und schoss über die Böschung hinaus, er riss das Gespann mit, pflügte beinahe zwanzig Schritte durch den Tiefschnee und blieb in einer buckelförmigen Düne liegen. Nur der tiefe Schnee verhinderte, dass sich die Hunde verletzten. Clarissa erlebte den Sturz wie in Zeitlupe mit, sie sah durch den aufgewirbelten Schnee, wie die Wölfe bei dem toten Elch die Köpfe hoben, und wie Alex kopfüber im Schnee landete und sich mehrmals überschlug. Sie hatte ihren Schutzengel dabei, der sie in einer Schneewehe landen und so weich fallen ließ, dass sie nicht mal eine Prellung erlitt. Über ihr schlug der Schnee zusammen, und um sie herum wurde es dunkel, als wäre sie von einer Lawine mitgerissen worden und tief unter dem Schnee gelandet.
Als sie die Augen öffnete und in den Schnee blinzelte, wusste sie nicht, ob seit dem Sturz erst ein paar Sekunden vergangen waren oder ob sie für einige Zeit das Bewusstsein verloren hatte. Sie lag auf dem Rücken, so viel konnte sie erkennen, und als sie sich streckte, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass sie unverletzt war.
Mit beiden Händen grub sie sich aus dem Schnee, klopfte ihn von ihrer Kleidung, suchte nach Alex und den Hunden und sah sich plötzlich einem mächtigen Wolf mit gefletschten Zähnen gegenüber. Sie erstarrte, erschrak so sehr, dass sie nicht mal zu atmen wagte. Wie gebannt starrte sie auf die Bestie, die sie jeden Moment anspringen und töten konnte.
Deshalb war sie also geflohen, schoss es ihr blitzartig durch den Kopf, hatte sie die Mühen der beschwerlichen Flucht auf sich genommen, nur um in diesem abgelegenen Tal, das zu ihrer Zuflucht geworden war, von einem aufgebrachten Wolf getötet zu werden. Sie wollte schreien, vor Angst, aber auch vor Wut, brachte aber nicht einmal ein Stöhnen über ihre Lippen. Zu gewaltig war die Bedrohung durch das kräftige Tier. In seinen Augen war keine Gnade, eine Wolf wie er folgte lediglich seinem Instinkt, verteidigte die Beute, die er gerissen hatte, und tötete oder vertrieb alle Lebewesen, die
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