Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
dir was einbildest. Ich mach dir keinen Vorwurf, Clarissa. Was wir gestern erlebt haben, hätte nicht jede Lady so gut wie du weggesteckt, und es würde mich nicht wundern, wenn du immer noch ein wenig durcheinander wärst, aber ich sehe nach, okay? Gib mir ein, zwei Stunden, dann wissen wir, ob jemand in der Nähe ist. Du bleibst hier.«
»Aber … wenn die Männer kommen?«
»Hierher kommt keiner, ohne dass ich es merke.«
Alex zog sich an und nahm sein Gewehr von dem Haken über der Tür. Mit einem geübten Griff überprüfte er die Ladung. Das Geräusch wirkte überlaut in der plötzlichen Stille. Er hängte sich das Gewehr über den Rücken, nahm die Schneeschuhe, die er neben den Herd auf den Boden gestellt hatte, und ging zur Tür. Seine Miene war ernst. Er glaubte sicher nicht an Wölfe, die junge Frauen vor ihren Verfolgern warnten, schien aber selbst von einem unguten Gefühl geleitet zu werden. In seiner Anoraktasche klapperten Patronen.
»Lass die Lampe aus, und bleib vom Fenster weg!«, warnte er sie, bevor er die Tür öffnete. »Und geh auf keinen Fall aus dem Haus!« Er klopfte gegen den Gewehrschaft. »Das nehme ich nur zur Sicherheit mit, falls das Rudel von gestern Nachmittag noch in der Nähe ist. Die sahen nicht so aus, als würden sie sich vor Menschen fürchten. Gestern hatten wir Glück. Die haben uns doch nur nicht angegriffen, weil sie mit dem Elch genug zu fressen hatten.«
Oder weil Bones sie davon abgehalten hat, dachte sie, hütete sich aber, ihm von ihrer gestrigen Begegnung mit dem Wolf zu erzählen. Sie wusste selbst, wie albern das klang. Inzwischen zweifelte sie schon selbst fast daran, dass sie ihm tatsächlich begegnet war. Vielleicht hatte Alex recht, und die Ereignisse der letzten Tagen waren nur zu viel für sie gewesen.
»Dein Kopf«, sagte sie.
»Ist wieder heil«, versprach er. »Hab keine Angst!«
Clarissa wartete, bis er gegangen war, und blieb seufzend in der Dunkelheit stehen. Wie ein flüchtiger Schatten huschte der Fallensteller am Fenster vorbei und verschwand in der Nacht. Vor dem Haus blieb es ruhig, selbst die Huskys spürten anscheinend, dass eine Bedrohung vom fernen Waldrand ausging, und gaben keinen Laut von sich. Sonst hätten sie sich sofort gerührt, wenn Alex nach draußen gekommen wäre. Einmal glaubte Clarissa zu hören, wie seine Schneeschuhe den Schnee berührten, aber das konnte sie sich auch eingebildet haben; dann war nur noch der leise heulende Nachtwind zu hören.
Woher sie die Sicherheit nahm, dass sie aufbrechen würden, sobald Alex von seinem Erkundungsgang zurückkehrte, hätte sie nicht erklären können, doch sie wollte auf jeden Fall vorbereitet sein. Wenn die Verfolger wirklich in der Nähe waren, durften sie keine Zeit verlieren. Entschlossen zog sie sich an. Sie nahm die Winterkleidung, die sie von Alex bekommen und auf dem Gestell über dem Herd getrocknet hatte, und ihre festen Stiefel. Ihre Mütze, die Handschuhe und den Schal legte sie ebenfalls bereit. Sie verstaute den kleinen Lederbeutel mit ihrem Ersparten so in ihrer Jackentasche, dass er nicht herausfallen konnte, denn mehr besaß sie nicht. Nachdem sie ihre Haare zu einem festen Knoten geschlungen hatte, machte sie sich daran, einige Vorräte für die Fahrt zusammenzupacken. Ein paar Kekse und Zwieback, etwas Schinken und Käse, mit Fett und Waldbeeren angereichertes Trockenfleisch, das Alex nach einem indianischen Rezept hergestellt hatte. »Damit kommst du durch den Winter, wenn es sein muss«, hatte er lächelnd behauptet. Für die Hunde stellte sie zwei Beutel mit getrocknetem Lachs bereit. Sie wärmte sogar den Kaffee vom letzten Nachmittag auf und füllte ihn in die Feldflasche des Fallenstellers. Eine knappe Stunde brauchte sie für die Vorbereitungen, und kaum war sie fertig, kehrte auch Alex zurück und sagte: »Du hattest recht. Crazy Joe und einer dieser verrückten Indianer, die ständig vor dem Saloon in Ashcroft herumhängen, lagern ungefähr eine Meile von hier im Wald. Ich konnte sie belauschen. Sie wollen uns noch heute Nacht auf den Pelz rücken. Wir müssen hier weg … Sofort!«
Clarissa hatte nichts anderes erwartet. Sie zeigte auf die Säcke mit den Vorräten. »Ich hab schon alles zusammengepackt. Wir können gleich los.« Sie zog ihre Handschuhe an und stülpte sich die Mütze auf den Kopf. »Haben sie was von Frank Whittler gesagt? Ist er noch unten in Ashcroft?«
»So hörte es sich an.« Alex schnappte sich die beiden Beutel mit dem
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