Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Stille umgeben. Seitdem sie gesehen hatte, dass ihre Verfolger in die entgegengesetzte Richtung ritten und anscheinend keine Ahnung hatten, wohin Alex und sie unterwegs waren, fühlte sie sich wesentlich besser und empfand auch die Anstrengung der langen Flucht und das lange Aufbleiben nicht mehr als Last.
Mit einem Arm voller Brennholz kehrte sie in die Hütte zurück. Alex hatte die Hunde gefüttert und das Fenster mit einer Decke vom Schlitten verhängt. Im flackernden Licht eines Kerzenstummels, den er irgendwo in dem verwahrlosten Raum gefunden haben musste, reinigte er den Ofen. Auf die fleckige Matratze hatte er ein paar Felle und mehrere Decken gelegt. Sie stapelte das Holz neben den Ofen und schlug ihre Hände gegeneinander, ein hilfloser Versuch, die Kälte schon ohne die Flammen zu vertreiben.
Es schien unendlich lange zu dauern, bis Alex das Feuer angefacht hatte und sich endlich Wärme in der kleinen Hütte ausbreitete. Nur zögernd befreiten sie sich von ihren Jacken und den Mützen und Handschuhen. Beinahe schüchtern sanken sie einander in die Arme, das angenehme Knistern des Feuers dicht neben sich und von wohliger Wärme umgeben. Clarissa hatte beide Arme um den Hals des Fallenstellers geschlungen, und ihr Mund presste sich fest auf seine sich langsam erwärmende Haut. Ein wohltuendes Gefühl, das sie sogar die bleierne Müdigkeit vergessen ließ, die sich nach der beschwerlichen Fahrt durch die Berge in ihrem Körper ausbreitete. Sie wollte etwas sagen, ihm ihre Zuneigung gestehen und sich für die Hilfe bedanken, die er ihr gewährt hatte, aber ihr fielen die passenden Worte nicht ein, und sie schwieg, begnügte sich damit, seinen Herzschlag und seinen Atem zu spüren und in seine braunen Augen zu blicken, als er den Kopf hob und sie küsste.
»Schlaf jetzt«, sagte er, »wir haben noch eine lange Fahrt vor uns.«
»Und du? Wir könnten doch beide …«
Er lächelte schwach. »Eine verlockende Einladung, aber ich hab gestern den ganzen Tag verschlafen. Ich schaffe schon noch ein paar Stunden. Einer muss Wache halten, falls es sich Crazy Joe doch noch anders überlegt oder sich jemand anders in diese Gegend verirrt. Leg dich hin und ruh dich aus, und wer weiß, vielleicht koche ich sogar frischen Kaffee, bevor ich dich wecke.«
»So ein Angebot kann ich schlecht ablehnen«, erwiderte Clarissa ebenfalls lächelnd. Sie küsste ihn noch einmal, diesmal nur kurz und wie eine Ehefrau, die sich von ihrem Mann verabschiedet, und machte es sich bequem.
Schon wenige Sekunden später war sie eingeschlafen. Sie war so müde und erschöpft, dass sie nicht einmal träumte und lediglich das Gefühl verspürte, in einen tiefen dunklen Brunnen zu fallen.
Der Duft von frischem Kaffee weckte sie. Sie öffnete erstaunt die Augen und sah Alex auf dem Bettrand sitzen, in der Hand hielt er einen Becher mit frischem Kaffee. »Versprochen ist versprochen«, begrüßte er sie liebevoll und reichte ihr den Kaffee. »Eier mit Speck gibt es nächstes Mal.«
Sie bedankte sich mit einem zärtlichen Kuss und griff dankbar nach dem zerbeulten Becher, den er auf jeder Fahrt mitführte. Sein Kaffee schmeckte tatsächlich besser als die Brühe, die man in Vancouver unter Kaffee verstand und die sie selbst zusammenbraute. Zumindest war sie heiß und stark genug, um sie wieder auf die Beine zu bringen und sie daran zu erinnern, in welcher brisanten Lage sie sich befand. Sie trank den Becher leer und schwang die Beine aus dem Bett. »Auf Hermelinfellen schläft man wie eine Prinzessin.«
»Deshalb hab ich sie mitgenommen«, erwiderte er grinsend.
Alex hatte die Hunde bereits angespannt, und sie konnten sofort weiterfahren. Das Schneetreiben hatte nachgelassen, doch über die kahlen Berghänge, die sie überqueren mussten, pfiff ein böiger Wind, der ihnen frostige Schneeschauer und eisige Kälte ins Gesicht blies. Der Vorteil war, dass der Schnee dank des heftigen Windes nur knöcheltief lag und sie rasch vorankamen. Die Hunde waren wieder ausgeruht und genossen die schnelle Gangart.
Wie Alex es schaffte, stets den richtigen Weg einzuschlagen, blieb ihr ein Rätsel. Er musste einen ähnlichen Instinkt wie seine Huskys besitzen. Statt eines Trails sah sie nur eine weiße Fläche ohne Spuren und Abdrücke, die sich vom Waldrand weiter unten bis zu den Felsen weiter oben erstreckte, und nicht einmal Spuren oder Abdrücke wiesen ihm die Richtung. Rechts von ihnen ragten die schroffen Gipfel der Berge bedrohlich empor. Der
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