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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Himmel war voller Wolken, und es gab nur das wenige Licht, das der frische Schnee reflektierte. Weder Alex noch seine Huskys schien es sonderlich zu stören.
    Noch vor ein paar Wochen hätte sie jeden für verrückt erklärt, der ihr vorausgesagt hätte, dass sie mitten in der Nacht mit einem Fallensteller auf einem Hundeschlitten durch die entlegene Wildnis der Cascade Range fahren würde. Und für noch abwegiger hätte sie es gehalten, wenn man ihr verraten hätte, dass sie dabei ein seltsames Glücksgefühl verspüren würde, ungeachtet der prekären Lage, in der sie sich befand. Es war wohl der Gedanke, vollkommen losgelöst vom Alltag und der Natur so nahe wie nie zuvor zu sein. Nicht einmal auf dem Meer, fernab der Stadt und aller Grenzen, hatte sie sich jemals so frei und ungebunden gefühlt. Ihrer Liebe zu Alex tat dieses Gefühl keinen Abbruch, denn in dieser Wildnis konnte man beides sein: einem Menschen verbunden und gleichzeitig frei wie der Wind. Die Liebe war kein Gefängnis, nicht, wenn man sich wirklich mochte und einander respektierte.
    Am Waldrand entlang lenkte Alex den Schlitten abwärts. Auf diesen Hängen, die ziemlich stark vereist waren, musste er sich besonders konzentrieren, und auch Billy merkte man an, mit welcher Vorsicht er seine vierbeinigen Freunde ins Tal hinabführte. Alle paar Schritte blickte er sich nach ihnen um und machte sich durch Gesten verständlich, die selbst Alex nicht alle durchschaute. Mal war es ein strenger Blick, dann nur ein verhaltenes Bellen oder leises Schnauben, das den anderen Hunden zeigte, was sie zu beachten hatten. Alex tat seine Pflicht, indem er den Trail ständig im Auge behielt und nach unerwarteten Hindernissen absuchte, mit denen man in dieser Wildnis, fernab aller befahrenen Straßen, verstärkt rechnen musste. Ein herumliegender Ast oder ein kantiger Eisbrocken konnten höchste Gefahr heraufbeschwören, von einem plötzlich auftauchenden Elch oder Wolf ganz zu schweigen.
    Clarissa war erleichtert, als sie endlich die weiten Täler des Fraser Rivers erreichten und sich durch den Tiefschnee bis zur breiten Wagenstraße durchkämpften. Breit und einladend lag die breite Piste vor ihnen, nach dem Schneetreiben in der Nacht von jeglichen Spuren befreit und so einsam, als gäbe es außer ihnen keine anderen Lebewesen auf der Erde. Weit hinter der Böschung kämpfte sich der Fraser River durch sein Bett. Noch war es zu früh, um den Schlitten auf den Fluss zu lenken. Im brackigen Wasser schwammen lediglich einige Eisschollen, und es würde noch mindestens einen Monat dauern, bis er zugefroren war. Nicht gerade günstig für sie, wie Alex ärgerlich bemerkte, weil sie dadurch gezwungen waren, ungefähr dreißig Meilen über die alte Wagenstraße zu fahren, auf der man jederzeit einem anderen Musher begegnen konnte, der von der Suche nach ihr gehört hatte und begierig darauf war, sich die zweitausend Dollar zu verdienen.
    Alex ließ die Hunde eine Weile verschnaufen. Clarissa reichte er ein Stück Schokolade von seinem scheinbar unerschöpflichen Vorrat. »Die Straße gehört zur alten Cariboo Road«, erklärte er, »weiter östlich stößt sie auf die Hauptstraße. Während des großen Goldrausches muss hier die Hölle los gewesen sein. Meine Eltern haben oft davon erzählt. Hier müssen wir aufpassen.«
    Clarissa hatte von dem Goldrausch gehört. »Wir hätten damals nach Norden gehen sollen«, hatte ihr Vater gesagt, wenn es mal nicht so lief, wie er wollte, »dann würden wir jetzt vielleicht auch in einer Villa im West End wohnen.«
    Ihre Mutter hatte nur gelacht. »Du taugst nicht zum Goldgräber, und ich hab keine Lust, in einem Zelt in der Wildnis zu wohnen. Du bist Fischer und gehörst aufs Meer, und ich bin die Frau eines Fischers, und man verlangt von uns, dass wir mit dem Wenigen auskommen, das uns das Meer überlässt.«
    »Du hast ja recht«, hatte ihr Vater geantwortet.
    Der Goldrausch war lange vorbei, doch einige der Siedlungen waren geblieben oder wie Barkerville und Williams Lake zu respektablen Städten angewachsen, und die Cariboo Road galt als eine der wichtigsten Straßen im Inneren von Kanada, auch wenn es sich bei diesem Stück nur um einen älteren Seitenarm handelte. Obwohl weit und breit kein menschliches Wesen zu sehen war, fühlte man sich allein schon durch den Blick auf die breite Straße der Zivilisation näher. Ein Gefühl, das neue Furcht in Clarissa weckte. Denn je näher sie der Zivilisation kam, desto gefährdeter war

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