Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Spott. Anscheinend fand er Gefallen daran, Alex mit seinen Missetaten zu quälen. »Warum sind Sie nicht in Ihrer Hütte oder irgendeinem Roadhouse?«
Alex hatte sich seine Ausrede längst zurechtgelegt. »Ich muss nach Williams Lake zu meinen Eltern. Es geht ihnen nicht besonders. Ich habe sie schon seit einigen Jahren nicht mehr gesehen und will ihnen einige Felle bringen.«
»Und deswegen fahren Sie mitten in der Nacht?«
»Ich habe schon viel zu lange gewartet, Constable.«
»Was für Felle?«
Clarissa spürte, wie die Decken über ihr nach hinten geschlagen wurden, und hatte schon Angst, dass der Mountie sie gleich entdecken würde, doch dann erkannte sie, dass es Alex war. Er schob die Decken gerade so weit zurück, dass sie noch bedeckt war. »Biber, Fuchs, Vielfraß, Hermelin … erste Ware.«
»Vom letzten Winter?« Die Stimme des Mounties klang gefährlich nahe. »Warum haben Sie die nicht längst verkauft? Die werden nicht besser vom langen Liegen. Oder hatten Sie Angst, den Verdienst vorher zu verprassen?«
»Kann sein«, antwortete er scheinbar schuldbewusst. »Mit dem Erlös kommen meine Eltern mindestens über zwei Winter.« Er räusperte sich verlegen, wohl auch, um ihn daran zu hindern, weiter unter die Decken zu schauen. »Kann ich jetzt weiterfahren, Constable? Ich habe es wirklich sehr eilig …«
Der Mountie schien ihn gar nicht zu hören. »Und Sie sind sicher, dass Sie nicht nach der flüchtigen Diebin suchen? Sich die zweitausend Dollar unter den Nagel reißen wollen, die Whittler auf ihre Ergreifung ausgesetzt hat?«
»Zweitausend Dollar?«, tat Alex unschuldig. »Was für eine Diebin?«
»Wollen Sie mir etwa sagen, dass Sie noch nicht von ihr gehört haben? Clarissa Howe, ein Dienstmädchen aus Vancouver. Hat Frank Whittler, den Sohn des Canadian-Pacific-Managers bestohlen und mit einer Waffe bedroht. Whittler hat zweitausend Dollar auf ihre Ergreifung ausgesetzt. Wir glauben, dass sie über die Grenze in die Vereinigten Staaten will, aber Sie glauben vielleicht, dass sie sich in Williams Lake oder Barkerville versteckt hält.«
»Ich habe nie von dieser Clara gehört«, sagte Alex.
»Clarissa«, verbesserte der Mountie.
»Und wenn, würde ich bestimmt nicht hier oben suchen. So weit würde sie sowieso nicht kommen. Was soll sie in Williams Lake oder Barkerville?«
»Der Meinung bin ich auch, Carmack. Ich möchte nur sicherstellen, dass mir keiner von euch Zivilisten in die Quere kommt. Eine Verdächtige zu finden und zu verhaften, ist Aufgabe der Polizei. Haben Sie mich verstanden?«
»Klar und deutlich, Constable.«
»Dann fahren Sie weiter.« Er kehrte auf seinen Schlitten zurück und legte die Hände an die Haltestange. »Und hüten Sie sich vor den leichten Mädchen, denn wenn ich Sie noch mal erwische, bleibt es nicht bei vierundzwanzig Stunden. Dann sorge ich dafür, dass Sie ein oder zwei Monate brummen.«
»Aye, Sir. Ich werde es nicht vergessen.«
18
Clarissa war so verwirrt, dass sie kein Wort sagte, nachdem der Mountie verschwunden war und sie sich aus den Decken schälte. Wortlos lehnte sie sich gegen die Felle und deckte sich zu. Selbst ein freundliches Lächeln für Billy und Smoky, die sich neugierig nach ihr umdrehten, fiel ihr schwer.
»Hör zu«, setzte Alex zu einer Entschuldigung an, »was der Constable gesagt hat, ist lange her und war ganz anders, als du denkst. Wir haben damals alle mächtig gefeiert, weil wir einen guten Winter hatten und unsere Schlitten unter den Pelzen fast zusammenbrachen, und dann spendierte einer von uns eine Runde, und als wir bei der zehnten angelangt waren … Nun ja, ich war alles andere als nüchtern, wie du dir ja denken kannst, und wusste nicht mehr, was ich tat, also ließ ich auf diese blöde Wette ein und … Es war eine Wette!«
»Du bist mir keine Rechenschaft schuldig, Alex!«, erwiderte sie. »Wir sind weder verlobt noch verheiratet, und selbst wenn … Das ist doch alles schon ein Jahr her, da wussten wir noch gar nichts voneinander.«
Sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen. »Ich hab sowieso schon vergessen, was er gesagt hat.«
»Es war alles ganz anders, als der Mountie sagt. Viel harmloser.«
»Schon gut, Alex.«
»Du glaubst mir wohl nicht?«
»Lass uns fahren, Alex, sonst kommt der Mountie noch auf die Idee, dass du doch was unter den Decken versteckt haben könntest, und kehrt um.«
»Verdammt, Clarissa …«
»Ich mache dir keinen Vorwurf, Alex.«
Doch als er endlich auf den Schlitten stieg
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