Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
hatte, unter die Ohren und zog die Schuhe an, die vor ihrem Bett standen. Zufrieden betrachtete sie sich in dem Spiegel über der Waschkommode.
Sie blies die Lampe aus und ging nach unten. In der Küche, die zwischen dem Wohnzimmer und dem größeren Raum lag, der als Café diente, begegnete sie der Witwe Barnes, die gerade dabei war, frischen Kaffee aufzusetzen.
»Und ich dachte, Sie wachen überhaupt nicht mehr auf«, empfing sie die Witwe mit einem fröhlichen Lachen. »Lassen Sie sich anschauen! Wundervoll, einfach wundervoll. Ich wollte, ich wäre noch mal so jung wie Sie. Nicht zu glauben, dass mir die Sachen auch mal gepasst haben.« Sie schenkte Kaffee in eine große Kanne. »Für Sie steht Tee auf dem Herd, Schätzchen! Bedienen Sie sich! Ich habe gerade alle Hände voll zu tun! Freitagabend!«
»Ich helfe Ihnen, Witwe Barnes.«
»Aber Sie haben doch sicher Hunger …«
»Zum Essen hab ich später noch Zeit.«
»Na, schön«, freute sich die Witwe. »Ich kann heute Abend wirklich eine zusätzliche Bedienung gebrauchen. Ich hab nur noch die Indianerin, die Ihnen das Badewasser eingefüllt hat, und die ist so langsam, dass ich ständig Beschwerden bekomme. Schenken Sie den Leuten schon mal Kaffee nach.«
20
Clarissa nahm die große Kanne und ging ins Café nebenan. Alle fünf Tische waren von hungrigen Holzfällern besetzt, die wenigstens einmal in der Woche etwas Anständiges essen wollten, aber auch von Leuten aus der Stadt, dem Ladenbesitzer und seiner Frau, dem Polizisten, dem Pfarrer, der zwar keine Kirche hatte, sonntags aber das Bild der nackten Maja im Saloon verhängen ließ und dort seinen Gottesdienst abhalten ließ, und anderen Einheimischen.
Als sie den Raum betrat, verstummte das Gemurmel der Gäste für einen Augenblick, und alle Blicke richteten sich auf sie. Aus der Ecke mit den Holzfällern war sogar ein anerkennender Pfiff zu hören. »Clara, meine neue Mitarbeiterin«, erklang die Stimme der Witwe hinter ihr. »Wenn ihr sie genug bewundert habt, wäre es nett, wenn ihr wieder zur Tagesordnung übergehen würdet. Ich mag es nicht, wenn ihr eine Lady mit euren Augen verschlingt!«
Der Satz war vor allem auf die Holzfäller gemünzt, obwohl auch der Ladenbesitzer und der Pfarrer einen heimlichen und durchaus anerkennenden Blick riskiert hatten, und von dort kam auch das lauteste Gelächter. Die Witwe Barnes wusste, wie man mit ungehobelten Burschen umgehen musste.
»Und macht euch keine falschen Hoffnungen! Clara ist in festen Händen, und über euch würde der Zorn Gottes hereinbrechen, wenn ihr der guten Frau zu nahe kommt. Also benehmt euch und tobt euch bei den Hühnern im Bird Cage aus, falls ihr Frühlingsgefühle bekommt. Ich wünsche guten Appetit!«
Clarissa arbeitete zwei Stunden durch, schenkte Kaffee nach, servierte den leckeren Elcheintopf, der auf der Karte stand, und den Kuchen, den die Witwe am Mittag gebacken hatte. Einem Holzfäller, der die kurze Ansprache der Witwe nicht mitzubekommen zu haben schien, schlug sie unter dem Beifall seiner Kameraden heftig auf die Finger. Die Leute mochten sie und ihre freundliche Art, und vor allem die Männer, ob verheiratet oder nicht, waren froh, eine junge Frau bewundern zu dürfen, ein seltener Anblick in Beaver Creek.
Sie dachte jedoch nur an einen Mann und hielt jedes Mal, wenn sie den Raum betrat, nach ihm Ausschau, aber Alex ließ sich nicht blicken. Als sie dem Ladenbesitzer und seiner Frau Kuchen brachte und frischen Kaffee nachschenkte, bekam sie jedoch eine Unterhaltung der Holzfäller mit und hörte seinen Namen. »Wo steckt eigentlich Colby?«, fragte einer der Männer. »Prügelt der sich mit diesem Fallensteller im Saloon?« Ein anderer antwortete: »Kann schon sein. Colby macht sich nichts aus gutem Essen und ist immer der Erste am Tresen, und diesen Alex hab ich vorhin bei den Hühnern vor dem Bird Cage gesehen.« Clarissa verschüttete vor lauter Schreck den Kaffee und entschuldigte sich hastig bei dem Ladenbesitzer. »Alex?«, bekam sie noch mit. Und die Antwort: »Alex Carmack, so heißt der Bursche. Ich kenne ihn von früher. Ein wilder Hund! Der lässt nichts anbrennen, und wenn der mal ein Bier getrunken hat, geht es meist rund. Warts’s ab, Joe!«
In der Küche stellte sie die Kanne hin und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Für einen Augenblick verschwamm alles vor ihren Augen.
»Was ist denn los mit Ihnen, Schätzchen?«, rief die Witwe Barnes besorgt. »Jetzt wird’s aber höchste
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