Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
keine andere Frau, versuchte sie sich einzureden. Und warum sollte er sich in dieser finsteren Kneipe besaufen, wenn er mit ihr im Mondschein spazieren gehen konnte?
Als sich der Qualm etwas legte, sah sie klarer. Das kichernde Mädchen saß tatsächlich bei einem Mann auf den Schoß, aber der gehörte zu den Holzfällern, und sie knabberte nicht an seinem Ohr, sondern ließ scheinbar genießerisch ihre Hand über seine Schenkel gleiten. Der Holzfäller lachte schallend und rief irgendetwas, das man nicht verstand, drückte sie fest an sich und steckte seine Nase in ihren tiefen Ausschnitt, lachte wieder und küsste sie auf die rubinroten Lippen. Sie antwortete mit ihrem hellen Kichern, stand auf und wollte ihn zur Treppe ziehen, landete aber nur auf dem Schoß des nächsten Holzfällers, der sie ebenfalls küsste und laut »Champagner!« für sie bestellte.
Nach Alex brauchte sie nicht lange zu suchen. Er fing sich gerade einen rechten Haken von Colby ein, stolperte quer durch den Saloon und stürzte nur nicht zu Boden, weil ihn ein anderer Holzfäller auffing. »Nur nicht schlappmachen, Alex!«, rief ihm der Mann zu. »Ich hab einen Dollar darauf gesetzt, dass du erst nach fünf Schlägen k.o. gehst! Enttäusch mich nicht, hörst du?«
Alex fand mühsam sein Gleichgewicht und ging erneut auf den Hünen los, fing sich diesmal eine Linke ein und prallte gegen den Tresen, dabei stieß er mehrere Biergläser um und schüttelte sich wie ein Hund im Regen. »Jetzt reicht’s mir langsam!«, rief er. Er nahm einem Holzfäller das Bierglas aus der Hand, trank einen kräftigen Schluck, stellte es auf den Tresen und stürmte wie ein wütender Stier auf Colby zu. Er rammte ihn mit dem Kopf, ging gemeinsam mit ihm zu Boden und wurde von einigen Männern, die mehr wollten oder ebenfalls auf ihn gewettet hatten, wieder hochgerissen. Bevor er sich versah, lief er in eine weitere Linke von Colby, der sich dabei überhaupt nicht anzustrengen schien und seine Schläge nach Belieben austeilte. Mit blutiger Nase taumelte Alex in die Arme eines leichten Mädchens, stützte sich für einen Augenblick bei ihr ab und wurde von einem Mann erneut gegen Colby gestoßen. Diesmal machte der Hüne kurzen Prozess. Ob er genug von dem Kampf hatte oder den Mann kannte, der auf ein K.O. nach dem fünften Schlag gewettet hatte, verriet er nicht. Er lachte nur schadenfroh, rieb sich die leicht geröteten Knöchel und erholte sich bei einem Bier von dem Kampf.
Clarissa blickte fassungslos auf den Fallensteller, der hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken lag und alle Viere ausstreckte. »Oh Alex!«, flüsterte sie tränenerstickt. »Wie kannst du mir so was antun?« Ihr Mitleid hielt sich jedoch in Grenzen, viel größer war ihre Wut auf ihn, weil er die zweifelhafte Gesellschaft dieser Rabauken einem Spaziergang mit ihr vorzog. Sie ballte ihre rechte Hand zur Faust und presste sie verzweifelt gegen den Mund. »Du unzivilisierter Wilder! Du Rabauke! Du … Du elender Mistkerl!«
Das Gelächter der Männer, durchsetzt vom Geklimper des Walzenklaviers und dem Kichern der leichten Mädchen, war der einzige Kommentar, den sie zu hören bekam, doch was dann geschah, hätte sie nicht für möglich gehalten, nicht nach dem furchtbaren und einseitigen Kampf, den sie beobachtet hatte.
Colby, eben noch wütend und Alex’ erbitterter Feind, ließ sich einen Eimer Wasser vom Wirt geben, schüttete den Inhalt auf den benommenen Fallensteller und zog ihn kameradschaftlich vom Boden hoch, als dieser prustend zu sich kam. Er hielt ihn an den Oberarmen fest, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. »Das war gar nicht übel, Fallensteller. Du hast dich wacker gehalten. Wie wär’s mit ’nem Bier?« Er gab dem Wirt ein Zeichen und winkte das Mädchen mit den rubinroten Lippen heran. »Hey, Ruby! Kümmere dich ein wenig um meinen neuen Freund! Ich hab das Gefühl, die Lady, die er dabei hat, lässt ihn nicht ran, sonst wäre er bestimmt nicht so wütend gewesen.«
Ruby ließ sich nicht zwei Mal bitten und hängte sich an Alex, küsste ihn so leidenschaftlich auf den Mund, dass er kaum Luft bekam und laut »Wow! Wow!«, rief, als sie endlich von ihm abließ. Zu Clarissas großem Entsetzen schnappte er sich das Mädchen gleich wieder und küsste sie noch einmal. Erst nach einer ganzen Weile ließ er von ihr ab, kramte eine Münze aus seiner Anoraktasche und steckte sie in ihren Ausschnitt. »Du bist jeden Dollar wert, Schätzchen!«, lallte er. Und indem er sein
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