Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Sie blieb noch minutenlang angespannt zwischen den Bäumen hocken, erhob sich dann vorsichtig und steckte den Revolver in den Vorratssack zurück. Schnell raffte sie die Decke zusammen und wandte sich an die Hunde: »Wir müssen weiter! Wer weiß, ob sie wirklich umkehren. Irgendwann hört er doch noch auf den Indianer, und dann kommt er zurück.«
Obwohl sie immer noch todmüde und so gut wie gar nicht ausgeruht war, zog sie den Anker aus dem Schnee und fuhr weiter, tiefer in den Wald hinein, nur weg von Frank Whittler und dem Indianer. Die Huskys gehorchten ihr und liefen ein gemäßigtes Tempo, sie ahnten wohl, dass ihnen eine längere Reise bevorstand und sie ihre Kräfte klug einteilen mussten. Clarissa schaffte es kaum noch, sie zu unterstützen. Sie stand auf dem Trittbrett, klammerte sich mit beiden Händen an die Haltestange und war so erschöpft, dass ihr alle paar Schritte die Augen zufielen und sie ständig drohte, vom Schlitten zu fallen. Als Tochter eines Fischers war sie mehr gewöhnt als die meisten anderen Frauen aus der Stadt, aber auch das genügte nicht, um einen solchen Gewaltmarsch durchzustehen. Selbst Alex hätte sich schwer getan, diese Strapazen auszuhalten.
Einige Bäume in dem Wäldchen standen sehr dicht, und die Hunde waren öfter gezwungen, einen Umweg einzulegen. Es gab nicht einmal die Andeutung eines Trails, und Clarissa hätte ohne den reflektierenden Schnee nicht einmal die Hand vor Augen gesehen. Ihr Vertrauen galt wieder Billy, dem erfahrenen Leithund, einem der klügsten Tiere, die sie jemals gesehen hatte, dessen Instinkt stärker als bei den anderen Hunden ausgeprägt war und ihn befähigte, fast jede Gefahr und jedes Hindernis im Voraus zu ahnen. Nur ihm war es zu verdanken, dass sie die andere Seite des Waldes sicher erreichten.
Sie verharrte am Waldrand und blickte prüfend in das Schneetreiben, das etwas abgeklungen war und den Blick auf die zerklüftete Berglandschaft freigab. Wie gewaltige Riesen erhoben sich die Berge in den nächtlichen Dunst, die schroffen Felswände ohne den geringsten Durchlass, die verschneiten Gipfel in bedrohliche Wolken eingehüllt. Die Pässe, von denen Whittler und der Indianer gesprochen hatte, konnte sie nicht sehen. Wenn es einen Weg durch diese Berge gab, lag er weiter nordöstlich, inmitten der Berge, die nur schemenhaft in der Dunkelheit zu sehen waren.
Um sie zu erreichen, musste sie im Schatten der Felswände bleiben, wo der Schnee nicht so hoch lag, sie aber gezwungen war, die Huskys über zahlreiche bewaldete Hügelkämme zu lenken, immer in Gefahr, durch eine Unachtsamkeit die Kontrolle über den Schlitten zu verlieren und die Böschung hinabzustürzen. Der Weg durch das tief verschneite Tal war jedoch wesentlich beschwerlicher, und sie würde selbst im Vollbesitz ihrer Kräfte und mit Schneeschuhen viel zu lange brauchen. Am einfachsten war es, noch ein wenig im Schutz der Bäume auszuruhen, neue Kraft zu sammeln und erst loszufahren, wenn der Morgen heraufzog und es etwas heller war.
Während sie noch überlegte, stellte Billy die Ohren auf. Im nächsten Augenblick glaubte sie, das Scharren von Kufen und die Anfeuerungsrufe eines Mushers zu hören. Frank Whittler und der Indianer! Sie waren zurückgekehrt!
In ihrer Panik zögerte sie keine Sekunde. Mit einem leisen »Vorwärts! Go! Go! Go!« trieb sie ihr Gespann in das Schneetreiben hinaus, den Ausläufern der Berge im Osten entgegen. Getrieben von der Furcht, in dieser Wildnis von Frank Whittler gefangen zu werden und ihm ausgeliefert zu sein, ließ sie den Hunden freien Lauf, rief sie immer wieder: »Lauft! Vorwärts! Lauft!«
Die Hunde rannten, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Mit weiten Sprüngen hetzten sie am Waldrand entlang, kämpften sich durch tieferen Schnee zu der Felswand und rannten über den ersten Hügelkamm. Jeder von ihnen schien zu wissen, wie groß die Gefahr war, in der Clarissa schwebte, und gab sein Äußerstes. Obwohl sie sich erst ein paar Tage kannten, waren sie und die Hunde längst zu einer Einheit zusammengewachsen, die Huskys fühlten sich ihr genauso oder fast so stark verbunden wie Alex.
Sie drehte sich nicht um, sondern blickte nur nach vorn und achtete darauf, mit dem Schlitten hinter den Hunden zu bleiben. Der Hügelkamm, über den sie die Huskys trieb, war stark vereist und tückisch, und schon ein kleiner Fehler genügte, um sie mit dem Schlitten die Böschung hinabstürzen zu lassen. »Heya! Heya! Lauft! Lauft!«, rief sie,
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