Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
zu befreien. Fin-Kedinn rührte sich nicht. Renn hielt ihr Handgelenk vor seine Lippen, um zu fühlen, ob er noch atmete. Torak sah, wie sie schwer schluckte.
Halb trugen sie, halb schleppten sie ihn zu einem Felsen. An der Ostflanke des Hügels, dem Großen Wald zugewandt, fand Torak schließlich einen schützenden Felsvorsprung, tief genug, um einen passablen Unterschlupf abzugeben, auch wenn man darin nicht aufrecht stehen konnte.
Renn kniete neben ihrem Onkel nieder und wrang die Hände. Rip und Rek schlugen mit den Flügeln und krächzten. Wolf schnupperte an der Schläfe des Clanältesten und fing an zu winseln, so hoch, dass Torak es kaum vernahm. Er hörte nicht mehr auf.
Fin-Kedinns Lider flatterten. »Wo ist Renn?«, murmelte er.
Die quer liegende Buche hatte ihm das Leben gerettet und ihn davor bewahrt, völlig zerquetscht zu werden, aber sie hatte die linke Hälfte seines Brustkastens eingedrückt.
Renn zog ihm zuerst vorsichtig die Kapuzenjacke aus und schnitt die Schnüre an seinem Beinleder auf. Obwohl sie äußerst behutsam vorging, war der Schmerz so heftig, dass Fin-Kedinn beinahe das Bewusstsein verlor.
»Drei Rippen sind gebrochen«, stellte sie fest, nachdem sie seine Brust abgetastet hatte.
Fin-Kedinn atmete pfeifend zwischen den Zähnen ein. Er hielt die Augen geschlossen, seine Haut sah feucht und grau aus. Er atmete flach, und Torak wusste, dass ihn jeder Atemzug wie eine Messerspitze peinigte.
»Wird er überleben?«, fragte Torak leise.
Renn sah ihn finster an.
»Hat er innere Blutungen?«, flüsterte Torak.
»Das weiß ich nicht. Wenn er aus dem Mund blutet …«
Fin-Kedinn lächelte mühsam. »Dann ist es aus. Saeunn hat recht gehabt. Ich schaffe es nicht bis zum Großen Wald.«
»Du darfst nicht reden«, ermahnte ihn Renn.
»Tut nicht so weh wie atmen«, gab ihr Onkel zurück. »Wo sind wir?«
Torak sagte es ihm.
Er ächzte. »O nein, nicht hier! Nicht an diesem Hügel!«
»Heute Nacht müssen wir hierbleiben«, sagte Renn.
»Das ist ein schlimmer Ort«, stammelte Fin-Kedinn. »Heimgesucht. Böse.«
»Still jetzt!«, befahl Renn streng und schnitt sich Verbandsstreifen von ihrem Wams.
Wolf lag neben ihr, die Schnauze zwischen den Pfoten. Rip und Rek stelzten im steifen Rabengang auf und ab. Torak beobachtete, wie Fin-Kedinn ruhelos den Kopf hin und her warf. Er hatte sich noch nie zuvor so hilflos gefühlt.
Als Renn ihm auftrug, Feuerholz zu sammeln, lief er sofort los. Seine Hände zitterten so sehr, dass er die eingesammelten Stöcke ständig fallen ließ. Um ein Haar hätte die Buche Fin-Kedinns Brustbein zerquetscht, dachte er. Dann würden wir jetzt ihm die Totenmale auftragen. Und ich wäre schuld daran gewesen. Ich hätte uns alle umbringen können.
Von dort, wo er stand, fiel der Hang steil zum Schwarzwasser hin ab. Am Flussufer sah er mehrere Tierspuren, die sich an einer Seite des Steinmauls entlangschlängelten und in den Großen Wald führten. Wieder sah er den Eichenschamanen vor sich, wie er zwischen den schattigen Bäumen verschwand.
Als er zurückkehrte, war Fin-Kedinn in einen unruhigen Schlummer gesunken. Renn lag mit einer Handvoll Zunder aus Birkenborke auf den Knien und versuchte ebenso entschlossen wie vergeblich, ein Feuer mit ihrem Feuerstein zu erwecken. »Na los, geh schon an. Lass dich nicht aufhalten«, sagte sie, ohne aufzusehen.
»Wie meinst du das?«, fragte Torak.
»Geh ihm hinterher. Das willst du doch.«
Er sah sie überrascht an. »Ich lasse euch nicht allein.«
»Du möchtest es aber.«
Er zuckte schuldbewusst zusammen.
»Es dürfte ein paar Tage dauern, Fin-Kedinn ins Rabenlager zurückzubringen«, fuhr sie fort, während sie sich weiter mit dem Feuerstein abmühte. »Thiazzi hat jede Menge Zeit, um zu flüchten. Daran denkst du doch ständig, oder?«
»Renn …«
»Du wolltest doch von Anfang an nicht, dass wir mitkommen!«, platzte sie heraus. »Das ist jetzt eine gute Gelegenheit, uns endlich loszuwerden.«
»Renn!«
Sie sahen sich zitternd und bleich an.
»Ich lasse euch nicht allein«, wiederholte Torak. »Morgen früh hole ich die Kanus, dann überlegen wir, wie es weitergeht.«
Wütend schlug Renn einen Funken und hauchte ihm mit zitternden Lippen Leben ein.
Torak kniete ebenfalls nieder und half ihr, das Feuer zuerst mit Kienholz und dann mit kleinen Stöckchen zu füttern. Als sie es endlich geweckt hatten, ergriff er ihre Hand, und Renn umklammerte sie so fest, dass es wehtat.
»Er hat uns besiegt«,
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