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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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allerdings war keine Spur zu sehen.
    Auf dem Hügel sah Torak nur nacktes Felsgestein. Er stieg auf die Kuppe. Auch hier oben war alles kahl. Einzig an der Westflanke klammerte sich ein alter Baumstumpf mit den Wurzeln in einer der von den Dämonen heimgesuchten Spalten fest.
    Torak dachte an seinen Vater, der damals all diese Ereignisse ausgelöst hatte, die ihn nun hierher geführt hatten. Erschrocken stellte er fest, dass er sich kaum noch an Fas Gesicht erinnern konnte.
    Während es langsam hell wurde, entdeckte er eine schwache Stiefelspur im Tau. Mit gezücktem Messer folgte er den Abdrücken, die um den Felsen herum zum Unterschlupf führten. Am Rand des Vorsprungs bemerkte er einen winzigen Aschekegel. Er runzelte die Stirn. Jemand hatte ihn sorgsam dort hingestreut, wie eine Opfergabe. Jemand, der sie in der Nacht beobachtet hatte.
    Plötzlich gewahrte er eine rasche Bewegung im Nebel unten am Fluss. Sein Herz zog sich furchtsam zusammen.
    Jemand stand am Ufer und sah zu ihm hinauf. Das Gesicht war verschwommen, Torak konnte nur das lange bleiche Haar erkennen. Die Gestalt hob den Arm und deutete mit dem Finger auf ihn. Anklagend.
    Torak berührte den Medizinbeutel an seiner Hüfte und spürte darin die Umrisse des Horns.
    Er schob sein Messer in die Scheide zurück und kletterte langsam den Hügel hinunter. Er fürchtete sich davor, Bales Geist gegenüberzutreten, aber vielleicht würde er mit ihm sprechen. Vielleicht konnte er ihm sagen, wie leid es ihm tat.
    Der Vogelgesang war verstummt. Zu beiden Seiten des Pfades wogten weiße Schierlingsblüten.
    Schritte kamen auf ihn zu.
    Ein Mann mit gehetztem Blick durchbrach plötzlich den Nebel und rannte Torak beinahe um. »Hilf mir!«, stieß er hervor, klammerte sich an Toraks Jacke und warf einen ängstlichen Blick über die Schulter.
    Torak taumelte unter dem unerwarteten Ansturm und atmete den Gestank von Blut und maßlosem Entsetzen ein.
    » Hilf mir! «, flehte der Mann. »Sie … sie …«
    »Wer?«, fragte Torak.
    »Der Große Wald!« Blut spritzte Torak ins Gesicht, als der Mann mit seinem Armstumpf vor seinem Gesicht herumfuchtelte. » Sie haben mir die Hand abgeschlagen!«

    »Das ist Wahnsinn. Ihr könnt da nicht hineingehen!«, knurrte der Fremde, nachdem Renn seine Wunde verbunden hatte. Er zitterte zwar nicht mehr, zuckte aber jedes Mal zusammen, wenn ein Scheit im Feuer knisterte.
    Er sagte, er heiße Gaup und gehöre dem Lachsclan an. Seine Jacke und die Beinlinge bestanden aus schlammbespritzter, mit Eichhörnchenfell gesäumter Fischhaut und er trug das wellenförmige Zeichen seines Clans auf einer Wange. Um seinen Hals hing ein Band aus schweißdurchtränkter Lachshaut, und ins Haar hatte er sich feine Fischknöchlein geflochten, was Torak an Bale erinnerte.
    »Haben dir die Waldleute das angetan?«, fragte Fin-Kedinn. Er saß mit hagerem Gesicht gegen den Felsen gelehnt und atmete durch die zusammengebissenen Zähne.
    »Sie haben geschworen, dass es mich den Kopf kostet, wenn sie mich noch mal erwischen.«
    »Sie waren offenbar nicht auf dein Leben aus. Die Wunde ist mit einem heißen Stein ausgebrannt worden, sonst wärst du verblutet.«
    »Muss ich dafür jetzt etwa noch dankbar sein?«, blaffte Gaup.
    »Zumindest könntest du Renn dafür danken, dass sie deine Wunde vernäht hat«, sagte Torak.
    Gaup warf ihm einen finsteren Blick zu. Er hatte auch Torak nicht dafür gedankt, dass er ihn zum Unterschlupf geführt und ihm Nahrung und Trank gegeben hatte. Außerdem war Torak die verschmierte Asche auf seiner Fußsohle nicht entgangen.
    Aber danach fragte Torak ihn nicht, sondern: »Hast du im Großen Wald einen Mann in einem Einbaum gesehen? Auffallend groß und sehr stark?«
    »Was geht mich das an?«, erwiderte Gaup barsch. »Ich bin auf der Suche nach meinem Kind! Das Mädchen ist vier Sommer alt und sie haben sie mitgenommen.«
    Torak warf Renn einen Blick zu. Beide dachten dasselbe. Seelenesser raubten Kinder, die den Dämonen als feste Körper dienten. Sie wurden zu Tokoroths.
    Fin-Kedinn bewegte sich. Auf seiner Miene war deutlich zu lesen, dass sich seine Gedanken überschlugen. »Jemandem die Hand abzuschlagen«, sagte er, »gehörte zu den Strafen in den schlimmen Zeiten nach der Großen Flut. Die Clans haben diese Strafe seit Langem untersagt. Wer hat dir das angetan?«
    »Der Auerochsenclan.«
    » Was ?«, staunte der Rabenführer ungläubig.
    »Ich dachte, sie wollten mir helfen«, fuhr Gaup fort. »Sie gaben mir zu essen,

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