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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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zwar unmenschlich verhalten, aber ich weiß genau, dass er ihr Verhalten nicht gebilligt hat. Ich kenne ihn. Er ist ein guter Mann.«
    Gaup kehrte zurück. Er brannte darauf, abzulegen, und Torak half ihm beim Einsteigen.
    »Du musst den Clan deiner Mutter finden«, wiederholte Fin-Kedinn. »Halte dich bis dahin im Verborgenen. Notfalls musst du dich sogar auf Bäumen verstecken, denn die Clans des Großen Waldes sind wie Tiere. Sie blicken nie nach oben. Vor allen Dingen darfst du keines der schwarzen Waldpferde verletzen. Sie sind heilig. Man darf sie nicht einmal berühren.« Plötzlich ergriff Fin-Kedinn Toraks Hand. Das hatte er noch nie zuvor getan.
    Torak brachte kein Wort heraus. Genauso hatte Fa seine Hand umklammert, als er im Sterben lag.
    »Torak …«, die blauen Augen wollten ihn schier durchbohren. »Du bist auf Rache aus. Lass nicht zu, dass dein Geist davon überwältigt wird.«
    Gaup stieß das Kanu mit einem kräftigen Paddelschlag vom Ufer ab und Torak musste die Hand seines Ziehvaters loslassen.
    »Rache brennt, Torak«, sagte Fin-Kedinn, während die Strömung das Boot rasch davontrug. »Sie verbrennt dein Herz. Sie lässt deinen Schmerz nur noch größer werden. Hüte dich davor.«

    Renn war den Abhang zum Unterschlupf hinaufgerannt. Sie hatte den Anblick, dass das Schwarzwasser ihren Onkel mit sich nahm, nicht ertragen können.
    Dann überlegte sie es sich plötzlich anders und rannte zum Flussufer zurück. Sie kam zu spät. Fin-Kedinn war verschwunden.
    Wie betäubt ging sie wieder zum Felsvorsprung, schulterte Schlafsack, Köcher und Bogen und trat das Feuer aus. Sie versuchte, sich selbst einzureden, dass Gaup es bestimmt schaffte, Fin-Kedinn wohlbehalten zum Clan zurückzubringen, aber letztendlich konnte alles Mögliche passieren: Fin-Kedinn erlag einem Fieber oder innere Blutungen setzten ein. Gaup suchte das Weite und ließ ihren Onkel im Stich. Vielleicht würde sie ihn nie wiedersehen.
    Als sie an den Fluss zurückkehrte, war Torak nirgends zu sehen. Wahrscheinlich holte er gerade das andere Kanu. Da es ihr unerträglich war, einfach herumzusitzen, legte sie den Schlafsack ab und stolperte den Pfad entlang in den Großen Wald.
    Kurz vor dem steinernen Maul blieb sie stehen. Der Nebel hatte sich gelichtet, die Felsen leuchteten in der Sonne. Von links raunte ihr ein mit Erlen und Birken bewachsener Abhang seine Geheimnisse zu. Rechts schlängelte sich das heimtückische Schwarzwasser entlang. Zwanzig Schritt voraus verwehrten ihr die Fichten des Großen Waldes den Zutritt. Sie waren höher als ihre Schwestern im Weiten Wald und unter ihren moosbewachsenen Armen glitten unaufhörlich Schatten hin und her.
    Torak hatte schon einmal die Grenze des Großen Waldes erreicht, aber Renn war noch nie zuvor so weit vorgedrungen. Der Anblick erfüllte sie mit banger Unruhe.
    Der Große Wald war so anders. Die Bäume waren wacher und die Clans misstrauischer. Es hieß, der Große Wald biete Geschöpfen Schutz, die schon lange niemand mehr gesehen hatte. Im Sommer zog hier der Weltgeist durch die Täler, ein großer Mann mit Hirschgeweih.
    Wie aus dem Nichts stießen Rip und Rek zu ihr herab und Renn zuckte erschrocken zusammen. Kurz darauf stiegen sie unter warnendem Krächzen erneut in die Lüfte.
    Obwohl Renn nichts Verdächtiges entdecken konnte, suchte sie vorsichtshalber hinter einem Wacholderbusch Deckung.
    Am Rande des Großen Waldes verschmolz das Gewirr aus Schatten unter den Fichten zu der Gestalt eines Mannes zusammen. Dann zu einer zweiten. Und zu einer dritten.
    Renn hielt den Atem an.
    Lautlos tauchten die Jäger zwischen den Bäumen auf. Ihre Kleidung aus gelblich braunem Rindenbast hob sich kaum vom laubbedeckten Waldboden ab; nur mit Mühe konnte Renn erkennen, wo die Männer aufhörten und die Bäume anfingen. Jeder von ihnen trug ein grünes Stirnband. Renn konnte sich nicht mehr erinnern, zu welcher Seite sie damit gehörten. Über die Köpfe hatten sie dünne grüne Netze gezogen. Diese Jäger hatten keine Gesichter. Sie waren keine Menschen.
    Einer hob die Hand und machte mit seinem grün bemalten Finger ein Zeichen, das Renn nicht verstand. Daraufhin kletterten die anderen den Abhang links von ihr hinauf.
    Ein Jäger ging nur wenige Schritte an ihrem Versteck vorbei. Sie sah seine schmale Schieferaxt und den langen grünen Bogen. Der Geruch von Rindertalg und Holzasche stieg ihr in die Nase und sie erhaschte das Glitzern eines Auges hinter dem Netz. Dort, wo der Mund war,

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