Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
sagten, ich solle mich an ihrem Feuer ausruhen. Dann behaupteten sie, ich sei im Bunde mit den Waldpferden, und beschuldigten mich , ich hätte eines ihrer Kinder geraubt.«
Noch mehr geraubte Kinder, dachte Torak. Vielleicht steckte noch etwas anderes hinter Thiazzis Flucht in den Großen Wald.
»Sie sagten, die Waldpferde hätten damit angefangen«, sagte Gaup. »Die Waldpferde hatten einen Bannpfahl aufgestellt und das Gebiet zwischen Schwarzwasser und Windfluss für sich beansprucht. Die Auerochsen haben den Pfahl verbrannt. Dann starb der Schamane der Waldpferde und sein Nachfolger entdeckte einen kleinen vergifteten Pfeil in dem Toten. Mittlerweile haben alle Clans Partei ergriffen. Jeder muss ein Stirnband tragen: grün für Auerochsen und Luchse, braun für Waldpferde und Fledermäuse.« Misstrauisch musterte er Toraks Stirnband aus Rehleder.
»Hast du im Lager der Auerochsen einen auffallend großen Mann gesehen?«, fragte Torak.
»Was sollen diese Fragen?«, rief Gaup aufgebracht. Ungeschickt kroch er, auf einen Arm gestützt, zum Ausgang. »Ich habe genug Zeit hier verschwendet. Ich rufe meinen Clan zusammen. Wir werden die Auerochsen schon dazu bringen, meine Tochter zurückzugeben.«
»Warte, Gaup«, sagte Fin-Kedinn im Befehlston. »Wir gehen gemeinsam, du und ich.«
Renn und Torak wollten ihren Ohren nicht trauen und auch Gaup war sichtlich überrascht.
»Wir gehen zu deinem Clan«, fuhr der Rabenhüter unbeirrt fort. »Und zu meinem. Wir holen deine Tochter zurück, ohne dass noch mehr Blut vergossen wird.«
»Wie denn?«, fragte Gaup. »Sie hören nicht zu, sie sind nicht wie wir.«
»Gaup«, erklärte Fin-Kedinn mit fester Stimme. »Wir tun, was ich sage.«
Gaups Schultern sackten herab. Mit einem Mal war er nur noch ein schwer verwundeter Mann, für den andere die Entscheidungen treffen mussten.
Danach ging alles sehr schnell. Torak holte eines der Boote und half Fin-Kedinn gemeinsam mit Renn zum Fluss hinunter. Renn sorgte dafür, dass der Rabenhüter so bequem wie möglich im Kanu saß, gab ihm Weidenbast zum Kauen gegen das Fieber und Haselnüsse, damit er bei Kräften blieb. Torak spürte, dass sie vor Sorge halb krank war.
»Wie willst du das schaffen?«, fragte sie ihren Onkel, als Gaup außer Hörweite war.
»Wir fahren flussabwärts«, sagte Fin-Kedinn. »Die Strömung trägt uns voran.«
»Und wenn Gaup krank wird und nicht mehr paddeln kann?«
»Er wird bestimmt nicht krank«, sagte Torak. »Du unterschätzt deine Fähigkeiten als Heilerin.«
»Das sagst du nur, weil dir der Plan gelegen kommt«, erwiderte sie. »Jetzt kannst du Thiazzi weiter verfolgen.«
Torak schwieg. Sie hatte recht.
Renn warf ihm einen finsteren Blick zu und stapfte zum Kanu. »Ich komme mit euch«, verkündete sie.
»Nein«, sagte Fin-Kedinn. »Torak braucht deine Hilfe nötiger.«
Torak war verblüfft. »Du hast nichts dagegen, dass Renn mich begleitet? Nachdem ich euch um ein Haar umgebracht hätte?«
»Du hast einen Fehler begangen«, erklärte Fin-Kedinn. »Einen zweiten darf es nicht geben.«
»Aber du kannst dich kaum auf den Beinen halten«, rief Renn. »Wenn nun etwas Unvorhergesehenes passiert? Wenn …« Sie brachte es nicht über sich weiterzureden.
»Renn«, sagte Fin-Kedinn. »Versteh doch. Es geht nicht nur um mich, dich oder Torak. Hier steht weit mehr auf dem Spiel. Thiazzi will sich nicht nur im Großen Wald verstecken, sondern er führt etwas im Schilde. Es ist Toraks Bestimmung, ihn aufzuhalten. Dabei braucht er deine Hilfe.«
Da sein Ton keinen Widerspruch duldete, fügte sich Renn wortlos. Doch kurz darauf rannte sie davon, weil sie es einfach nicht ertrug, Fin-Kedinn wegfahren zu sehen.
»Was hast du vor?«, fragte Torak seinen Ziehvater, als Renn verschwunden war.
»Ich versuche, einen Krieg zu verhindern«, sagte Fin-Kedinn.
Krieg. Torak wusste nicht einmal recht, was das bedeutete. »Glaubst du, es steht so schlimm?«
»Du etwa nicht? Die Clans aus dem Großen Wald vertrauen den Clans des Weiten Waldes nicht mehr, die Krankheit und der Bärendämon haben eine tiefe Kluft zwischen ihnen aufgerissen. Wenn der Lachsclan gegen sie zieht, könnte das der Funken sein, der das Feuer entfacht.« Er wurde von Schmerzen geschüttelt und umkrampfte den Rand des Kanus. »Hör mir genau zu, Torak. Du musst den Rotwildclan finden. Um deiner Mutter willen werden sie dir helfen. Falls dir das nicht gelingt, musst du den Schamanen der Auerochsen aufspüren. Sein Clan hat sich
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