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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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warne dich. Ich scheue vor nichts zurück, um Thiazzi in die Finger zu bekommen.«
    »Von mir aus«, gab sie gereizt zurück. »Fangen wir an. Wir brauchen eine Tarnung. Wir befinden uns im Gebiet der Auerochsen, also sollten wir versuchen, wie Auerochsen auszusehen.«
    Er nickte kurz und zustimmend. »Genau.«

    »Na siehst du«, sagte Renn. »Den Auerochsen möchte ich sehen, der dich nicht für einen der Ihren hält.« Sie gab sich zwar äußerst forsch und nüchtern, aber Torak ließ sich nicht hinters Licht führen. Renn hatte genauso viel Angst wie er selbst.
    Im Winter hatte ihnen Fin-Kedinn gezeigt, wie man Feinde durch Verkleidungen täuscht. Sie hatten den ganzen Nachmittag dafür gebraucht, seine Ratschläge in die Praxis umzusetzen. Renn hatte sich dabei als besonders begabt erwiesen, was Torak ziemlich auf die Nerven gegangen war. In Sachen Täuschung besaß sie anscheinend das Talent einer Schamanin.
    Jetzt hatte sie eine grünlich braune Paste aus Flechten und Flusserde angerührt. Die Erde hatte sie unterhalb des Wasserspiegels ausgegraben, um Spuren zu verbergen. Sie hatte außerdem Holzasche und Knochenmarkfett hinzugefügt, um ihren eigenen Geruch zu überdecken und die Tarnung wasserfest zu machen. Dann hatte sie die Federn aus ihrem Totemtier gezogen und sie sich unter das Wams gesteckt. Anschließend hatten sie sich gegenseitig bemalt: Gesicht, Hals, Hände, Kleider. Sie hatten die Paste ungleichmäßig aufgetragen, manche Stellen hell, andere mit Holzkohle abgedunkelt.
    Von den Clantreffen her wussten sie, dass Auerochsen gelben Lehm auf ihre Schädel auftrugen, damit sie Rinden ähnelten. Sie stopften sich das Haar in die Jacken und verfuhren genauso. Da ihnen die Zeit fehlte, um Netze für ihre Gesichter anzufertigen, tupften sie lediglich grüne Flecken auf Toraks Stirnband und fertigten ein neues Band für Renn an. Sie polsterten ihre Köcher mit Moos, damit die Pfeile nicht klapperten, und vereinbarten einen neuen Warnruf. Zum Schluss schnitzte Torak zwei Luftrohre aus Schilf, falls sie unter Wasser in Deckung gehen mussten.
    Als Wolf sich schließlich vorsichtig an den verkleideten Torak heranwagte und ihn beschnupperte, zuckte er erschrocken zurück.
    Ich bin’s, versicherte Torak in Wolfssprache.
    Wolf legte die Ohren an und knurrte drohend.
    Ich bin’s wirklich. Komm her .
    Misstrauisch schob sich Wolf ein wenig näher heran.
    Torak hauchte ihm behutsam auf die Schnauze und sprach sowohl in der Wolfs- als auch in der Menschensprache. Es dauerte trotzdem ein Weilchen, ehe er Wolf überzeugt hatte.
    »Er hat dich zuerst nicht erkannt«, stellte Renn angespannt fest.
    Torak versuchte zu lächeln, doch sein Gesicht unter der Maske war starr. »Sehe ich denn so anders aus?«
    »Du kannst einem richtig Angst einjagen.«
    Sie wechselten einen Blick. »Du auch.« Ihr glattes grünes Gesicht glich auf verstörende Weise dem ihrer Mutter. Sogar ihre Bewegungen wirkten plötzlich anders. Eine geheimnisvolle Macht schien Besitz von Renns Körper und ihren Händen ergriffen zu haben. Als könnte man sich die Finger verbrennen, sobald man sie berührt, dachte Torak.
    »Glaubst du, dass es klappt?«, fragte sie.
    Er räusperte sich. »Von Weitem möglicherweise. In der Nähe können wir sie nicht täuschen. Am besten, wir verteidigen uns, indem …«
    »… wir uns gar nicht erst erwischen lassen.« Sie grinste ihn kurz mit ihren spitzen Zähnen an und war wieder die alte Renn.
    Die Dämmerung brach an, der angebissene Mond schwamm über den Baumkronen. Motten flatterten zwischen den weiß schimmernden Lichtnelken hindurch. Hoch oben in einer Fichte tschilpten Spechtnestlinge.
    »Jetzt der Zauber«, sagte Renn.
    Im schwachen Mondlicht baumelte Gaups abgetrennte Hand an der Schnur. Die Hand hätte eigentlich vor Ameisen und Fliegen nur so wimmeln müssen, doch es war kein einziges Insekt daran zu sehen. Der mächtige Bannfluch schreckte jedes Lebewesen ab.
    Torak hielt Wache mit Wolf, und Renn näherte sich dem Speerschaft, wobei sie darauf achtete, sich stets im Schatten zu halten und auf breite Ampferblätter zu treten, die ihre Spuren verdeckten. In der Hand hielt sie ein Bündel aus Wermutkraut und Ebereschenzweigen. Vor dem Pfahl ging sie in die Hocke und stimmte leise murmelnd einen Zauber an. Dabei bestrich sie den Schaft unaufhörlich mit dem Pflanzenbündel.
    Der Fluss strömte beinahe lautlos dahin. Die Bäume lauschten mit angehaltenem Atem. Torak spürte den Fluch drückend in der Luft

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