Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
Ordnung?«, fragte Torak und legte ihr die Hand auf die Schulter.
Renn nickte. Sie zitterte und presste die Lippen zusammen, damit ihre Zähne nicht klapperten.
»Lass uns verschwinden«, murmelte Torak.
Sie zogen sich in ein Erlendickicht zurück. »Sie finden unsere Spuren bestimmt«, sagte Renn, als sie sich wieder einigermaßen gefasst hatte. »Bald wissen sie, dass wir hier sind.«
Torak schüttelte den Kopf. »Sie denken bestimmt, dass wir Fin-Kedinn begleitet haben.« Er hatte das Kanu weiter flussabwärts zurückgelassen, da es im Großen Wald zu sehr auffallen würde. Außerdem hatte er die Ausrüstung versteckt und alle Spuren verwischt.
»Woher wusstest du, dass sie kommen würden?«, fragte Renn.
»Das wusste ich nicht. Erst dein Ruf hat mich gewarnt. Aber als Ausgestoßener habe ich mich daran gewöhnt, meine Spuren immer sorgfältig zu verwischen. Komm jetzt. Ich bin hungrig. Das ist unsere letzte Gelegenheit, etwas Warmes in den Bauch zu bekommen.«
Renn hatte noch gar nicht daran gedacht, dass sie im Großen Wald auf Feuer verzichten mussten. Sie kam sich kindisch und dumm vor und zog los, um nach etwas Essbarem zu suchen. Ihre Vorräte musste sie für die kommenden Tage aufsparen; zumindest daran hatte sie gedacht.
Als sie zurückkehrte, hatte Torak ein Feuer geweckt. Dafür hatte er eine Stelle unter einem dem Großen Wald abgewandten Felsen ausgesucht und nur kleine, trockene Birkenholzstückchen ohne Borke benutzt, damit das Feuer beinahe ohne Rauch brannte.
Renn dachte daran, dass er all das als Ausgestoßener gelernt haben musste. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihn gar nicht richtig zu kennen.
Das Essen beruhigte sie. Sie bereitete einen Eintopf aus Vogelmiere, Schaumkraut und Brombeersprossen zu, den sie mit fleischigen Frühlingspilzen, Ringeltaubeneiern und in der Glut gebackenen Schnecken ergänzte. Die Schnecken waren ein besonderer Leckerbissen, da sie sich hauptsächlich von Sandlauch ernährt hatten.
Während Torak und Renn aßen, nahmen Rip und Rek ihr morgendliches Bad am Flussufer. Geschickt schnippten sie mit den Flügeln Wasser über sich und bespritzten Wolf, der nach der Jagd träge am Flussufer döste und so tat, als bemerkte er überhaupt nichts.
Renn reichte Rek ein geschältes Ei und bedankte sich leise, bevor sie sich Torak zuwandte. »Wer waren diese Jäger?«
»Angehörige des Auerochsenclans, vermute ich. Grüne Stirnbänder und Hornamulette.« Er fragte sie nach dem Speer mitten auf dem Pfad, und sie erklärte ihm, dass es sich um einen Bannpfahl handelte. »Ohne den richtigen Zauber wirst du krank und stirbst, wenn du daran vorbeigehst. Man kann den Fluch nicht sehen, aber er zieht Fieberdämonen an wie die Flammen Motten.«
Torak dachte nach. »Kannst du uns daran vorbeischleusen?«
Der Knoten in ihrem Magen zog sich noch enger zusammen. »Vielleicht.« In Wahrheit zweifelte sie daran. Die Schamanen des Großen Waldes galten als besonders mächtig. Renn war ihnen schwerlich gewachsen. »Sie verlassen sich nicht nur auf die Bannpfähle«, sagte sie. »Sie halten Wache.«
Darauf erwiderte Torak nichts. Er schwieg nachdenklich. Wenn er sich genau zurechtlegte, was er sagen wollte, glitt sein Daumen unablässig über die Narbe auf seinem Unterarm, genau wie jetzt. »Renn …«, setzte er an.
»Sag es bloß nicht«, fiel sie ihm ins Wort.
»Was?«
»Er war nicht mein Blutsbruder, ich muss dich nicht begleiten, es ist zu gefährlich und ich könnte dabei umkommen.«
Torak schob das Kinn vor. »Aber es ist zu gefährlich. Nicht nur ihretwegen. Ich selbst bin eine Gefahr für dich. Denk nur daran, was Fin-Kedinn zugestoßen ist. Das nächste Mal könnte es dir passieren.«
Sie wollte widersprechen, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Außerdem beunruhigt mich noch etwas anderes. Gestern Nacht hat uns jemand beobachtet. Ich habe Fußspuren und ein Häufchen Asche gefunden.«
» Asche ?« Sie versuchte, ihre Besorgnis zu überspielen. »Glaubst du, es war Gaup?«
»Zuerst schon, aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.«
Doch sie hatte ihn bereits durchschaut. »Du willst mich nur abschütteln und versuchst, mir Angst einzujagen. Warum tust du das jedes Mal? Glaubst du wirklich, ich falle darauf noch herein? Glaubst du wirklich, ich sage: Dann gehe ich lieber zu meinem Clan zurück?«
»Genau das solltest du jedenfalls tun.«
»Ausgeschlossen.«
Er funkelte sie böse an. Im Morgenlicht sah er älter aus. Rücksichtsloser. »Renn, ich
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