Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
hängen. Er machte sich Sorgen, dass Renn zu nah am Bannpfahl sein und der Fluch in ihre Haut eindringen könne.
    Dann keuchte sie auf einmal auf und verstummte. »Ich schaffe es nicht«, flüsterte sie.
    »Doch, natürlich schaffst du es!«, drängte er.
    »Ich bin nicht stark genug.«
    Torak wartete.
    Sie fuhr fort. Nach einer Weile erhob sie sich schließlich, seufzte ein wenig mutlos auf und warf das Bündel in den Fluss.
    »Hat es geklappt?«, fragte Torak.
    »Ich weiß es nicht. Wir werden es bald herausfinden.«
    Sie zogen sich ins Gebüsch zurück und verwischten sorgfältig alle Spuren. Torak kam es vor, als sei die Dunkelheit von neuer Spannung erfüllt.
    Nach einer Weile trabte Wolf zu dem Bannpfahl hinüber, hockte sich hin und musterte nachdenklich die blutige Hand. Plötzlich schlug er ohne Vorwarnung die Zähne hinein, schüttelte seine Beute, um sicherzugehen, dass sie wirklich tot war, und trottete davon, um sie in Ruhe zu fressen. Wenig später vernahmen sie ein Rascheln im Unterholz, gefolgt von gereiztem Knurren; dann flogen Rip und Rek davon, jeder mit einem Finger im Schnabel.
    Torak öffnete die geballten Fäuste. »Ich glaube, du hast es geschafft.«
    »Vielleicht«, sagte Renn zögernd.
    Sie holten ihre Ausrüstung.
    »Wir brechen am frühen Morgen auf«, sagte Torak.
    Renn schwieg, aber er wusste ohnehin, was ihr durch den Kopf ging. Sie hatten nach wie vor keinen Plan, wie sie an den wachsamen Auerochsen vorbeikommen sollten.
    In der Fichte verlangten die Nestlinge des Waldspechtes unermüdlich nach Futter. Torak fiel auf, dass ihre Eltern schlau gewesen waren und die Nisthöhle direkt unter dem breiten Dach eines Zunderschwammes, der den Regen abhielt, in den Stamm gezimmert hatten. Außerdem hatten sie einen hohlen Baumstamm ausgewählt, der bereits zahlreiche andere Löcher aufwies. Falls ein Marder angreifen sollte, blieben ihnen mehrere Fluchtwege. Er erinnerte sich daran, was Fin-Kedinn ihm über das Täuschen des Gegners beigebracht hatte. Die erste Regel lautet, von anderen Geschöpfen zu lernen.
    Vater Specht flog mit dem Abendessen für seinen Nachwuchs heran. Als er Torak entdeckte, segelte er eilig zu einem entfernten Baum hinüber, ließ sich am Stamm nieder und rief laut: Kik-Kik-Kik! Nicht dieser Baum, der hier !
    »Ich glaube«, sagte Torak, »ich habe da eine Idee.«

    Der Mond war untergegangen und der Wind abgeflaut. Die Bäume standen still und erwartungsvoll da.
    Torak kniete neben Wolf und erklärte ihm in Wolfssprache, dass sie sich zwar verstecken mussten, aber trotzdem noch den Gebissenen jagten. Er war sich nicht sicher, ob Wolf ihn verstanden hatte.
    Er erhob sich und nickte Renn zu. Sie nickte zurück.
    Sie gingen abseits des Pfades flussaufwärts. Vorbei am Bannpfahl. Dann hatten sie das Steinmaul erreicht.
    Ein Eichhörnchen turnte einen Stamm hinauf. Ein Rehbock floh und ließ den weißen Spiegel an seinem Hinterteil aufblitzen.
    Gut, dachte Torak. Vielleicht sind die Auerochsen doch nicht so nahe.
    Vielleicht.
    Stumm wie ein Schatten lief Renn neben ihm her. Wolfs Pfoten waren völlig geräuschlos.
    Die Fichten erwarteten sie, aus den dicken Moosklumpen an ihren Armen tropfte Wasser.
    Torak hielt inne. Er dachte an den Eichenschamanen. Er dachte an Bale. Dann holte er tief Luft und betrat den Großen Wald.

Kapitel 10

    Wolfs Nackenfell sträubte sich. Torak warf einen Blick zu Renn hinüber. Hatte sie es auch bemerkt? Allerdings.
    Der Gebissene , sagte Wolf.
    In der Nähe ?, fragte Torak.
    Viele Sprünge entfernt.
    Torak beugte sich zu Renn. »Er hat Thiazzis Spur gewittert«, flüsterte er. »Aber er ist noch weit weg.«
    »Und nach wie vor keine Auerochsen?«
    Torak schüttelte den Kopf.
    Sonderbar. Geradezu unerklärlich. Sie waren bereits seit einer halben Ewigkeit zwischen den schattigen Bäumen hindurchgekrochen und dem Lauf des Schwarzwassers flussaufwärts gefolgt, wobei sie sich allerdings gehütet hatten, dem Ufer zu nahe zu kommen. Bisher ohne einen einzigen Hinweis auf Auerochsen.
    Aber diese Bäume … Wurzeln griffen nach Toraks Stiefeln. Zweige strichen ihm wie Finger über das Gesicht. Mitten im Großen Wald war es warm, die Luft roch grüner, gleichsam lebendiger. Fledermäuse huschten über ihre Köpfe hinweg und im Unterholz raschelte es zuweilen geheimnisvoll. Tropfnasses Moos hing von jedem Zweig, Stamm oder Felsbrocken, gerade so, dachte Torak, als habe eine gewaltige grüne Flutwelle den Wald überrollt und sich dann zurückgezogen.

Weitere Kostenlose Bücher