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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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langsam füllten, beobachtete sie, wie das Wasser sich erst kräuselte und dann wieder still und glatt dalag. Sie wünschte, Torak würde zurückkommen und wieder der Torak von früher sein: mit Wolf Verstecken spielen und sie wegen der Sommersprosse in ihrem Mundwinkel necken. Zum ersten Mal ging ihr durch den Kopf, dass der Vater von Toraks Mutter zum Eichenclan gehört hatte, wodurch Torak mit Thiazzi verwandt war. Hätte sie doch bloß nicht daran gedacht.
    Die Wassersäcke waren gefüllt. Als sie sie aus dem Wasser zog, starrte ihre Namensseele sie an – unverkennbar eine mit Lehm beschmierte Auerochsenfrau.
    Hinter ihr tauchte eine Gestalt auf.
    Einen albtraumhaften Herzschlag lang erkannte Renn geballte Fäuste und langes hellblondes Haar.
    Aufschreiend wirbelte sie herum.
    Nichts. Nur in den Weiden raschelte es leise.
    Sie riss das Messer vom Gürtel.
    Ein Ast knarrte. Krallen kratzten auf der Rinde eines Stammes. Wie Tokoroths, die pfeilschnell einen Baum herunterrasen, geschmeidig wie Spinnen. Renn ließ die Wassersäcke los und stürzte zum Lager.
    Torak war noch nicht zurück, nur die Raben hockten hoch oben in der Eibe und krächzten beunruhigt. Jemand hatte Renns Ausrüstung übel zugerichtet. Ihr Köcher war zerschlitzt, die Moospolsterung herausgerissen und die meisten Pfeile waren zerbrochen. Glücklicherweise hatte sie ihren Bogen in die Eibe gehängt, weshalb der Angreifer ihn übersehen hatte, aber der Schlafsack war zertrampelt worden, ihre Zunderbeutel zerschnitten und der Feuerstein lag zerschmettert unter einem Felsbrocken. Heimtücke und Zorn waberten in der Luft wie eine Krankheit und über allem lag eine feine graue Ascheschicht.
    Renn zog ihre Axt und stellte sich mit dem Rücken zur Eibe. »Ich habe keine Angst vor euch«, sagte sie in die düsteren Schatten hinein, aber ihre Stimme klang hohl und nicht sehr überzeugend.
    Kurz darauf kamen Torak und Wolf zurück. Wolf setzte in langen Sprüngen zu Renns Habseligkeiten hinüber und schnupperte wütend daran. Torak war fassungslos.
    »Ich habe etwas am See gesehen«, sagte sie. »Und als ich zurückgekommen bin, habe ich das hier entdeckt.«
    »Was hast du gesehen?«
    »Es hatte helles Haar und sah wütend aus.«
    Torak zuckte zusammen.
    »Weißt du, was das ist?«, fragte sie.
    »Nein, äh, ich … nein.« Er fing an, nach Spuren zu suchen, aber es war schon fast dunkel, sodass er nichts finden konnte. »Entweder weiß es, wie man seine Spuren verwischt«, sagte er, »oder es hinterlässt keine.«
    »Was soll das heißen? Was ist hier passiert, Torak?«
    Er nagte an seiner Lippe und erhob sich dann. »Keine Ahnung, jedenfalls schlafen wir nicht auf dem Boden.«
    Die Eibe mochte es gar nicht, wenn man auf ihr herumkletterte. Sie hüllte die beiden in dichte Pollenwolken ein und stieß unter ihren Händen die Rinde ab. Zweimal peitschten Armäste auf sie ein und versuchten, sie abzuschütteln. Als sie endlich einen Platz zum Übernachten gefunden hatten, waren sie zerkratzt und erschöpft.
    »Der Wind frischt auf«, sagte Torak. »Wir müssen uns festbinden.«
    Renn hängte die feuchten, schmutzigen Schlafsäcke zum Trocknen auf und spähte in die Dunkelheit. »Hoffentlich warnen uns Wolf und die Raben rechtzeitig, wenn es gefährlich wird«, sagte sie.

    Wolf lief immer wieder rings um die Eibe und sträubte missbilligend das Fell. Er konnte es nicht ausstehen , wenn die Schwanzlosen auf Bäume kletterten. Warum taten sie das nur?
    Normale Wölfe klettern nicht auf Bäume. Normale Wölfe mögen die Dunkelheit. Es ist die beste Zeit, um herumzurennen und zu spielen. Sie rollen sich nicht zusammen und schlafen endlos.
    Wolf fand es schrecklich hier. Der Wald war anders. Die Bäume waren so lebendig und die Gerüche ein einziges Durcheinander. Manche Bäume rochen nach Erde, und die Schwanzlosen, die hier lebten, rochen wiederum nach Baum. Sie waren zornig und sie hatten Angst, und obwohl jedes Rudel ein großes Revier hatte, kämpften sie gegeneinander; Wolf wusste wirklich nicht, warum. Am schlimmsten aber war, dass Groß Schwanzlos und die Rudelgefährtin ihre Überpelze und sogar ihren Geruch ausgetauscht hatten, sodass Wolf sie kaum erkennen konnte.
    Das Kratzen von Dämonenklauen und die dumpfen Schreie der Adlereulen störten seinen Schlaf, und manchmal, wenn er erwachte, stieg ihm der beißende Dunst des Schwanzlosen in die Nase, der nach dem Hellen Tier roch. Dieser Schwanzlose beunruhigte Wolf sehr. Sein Verstand war zerbrochen,

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