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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Rufe, dann ein lang gezogener Schmerzensschrei.
    »Erzähle ich dir später«, sagte Torak. »Jetzt sollten wir so schnell wie möglich ans andere Ufer schwimmen.«
    Renn war es inzwischen so kalt, dass sich das Schwarzwasser dagegen fast warm anfühlte. Die durchnässte Ausrüstung auf ihrem Rücken war schwer und drückte sie in die Tiefe, die Strömung war stark. Als sie die Mitte des Flusses erreicht hatte, zog ein Strudel sie nach unten. Wild um sich tretend und Blätter ausspuckend, tauchte sie wieder auf. Torak und Wolf schwammen weiter vorn und hatten nichts bemerkt.
    Am Südufer stand ein abweisendes Gestrüpp aus ineinandergewachsenen Weiden. Ihr Mut verließ sie. Sie stellte sich vor, wie Jäger mit Blättergesichtern auf sie zielten. Vom Regen direkt ins kalte Wasser, dachte sie.
    Falls ihre beiden Gefährten ebenfalls Angst hatten, so ließen sie sich nichts davon anmerken. Wolf patschte an Land, schüttelte sich ausgiebig und fing eifrig an, nach Thiazzis Fährte zu schnuppern. Torak watete derweil geräuschlos auf die Weiden zu.
    Renn erschrak, als sie ihn dabei beobachtete, wie er die Bäume musterte. Seine Verkleidung hatte ihn in ein Geschöpf des Großen Waldes verwandelt: einen Fremden mit dunklem Gesicht und kalten Silberaugen.
    Er warf ihr einen kurzen Blick zu und nickte – alles in Ordnung  –, dann verschwand er zwischen den Weiden. Als sie noch mühsam ihr Bein aus einem Gewirr von Sumpfgräsern zu zerren versuchte, streckte er die Hand aus und zog sie ans Ufer.
    »Hier ist niemand«, sagte er. »Ich glaube, sie sind alle zur anderen Seite geschwommen, um das Lager anzugreifen.«
    Sie trockneten sich notdürftig mit Gras ab und stopften Grasbüschel zum Wärmen in Stiefel und Kleider. Torak rieb mit Zinnkrauthalmen die grünen Flecken von ihren Stirnbändern und Renn versorgte ihren arg mitgenommen, durchweichten Bogen.
    Wolf hatte unterdessen Witterung aufgenommen und lief in südlicher Richtung, weg vom Fluss, in ein morastiges Waldgelände hinein, in dem Erlen aus braunen Tümpeln ragten. Renn dachte an Fallen, Bannpfähle und unsichtbare Jäger und rief den Clanhüter um Beistand an.
    Der Weg erwies sich als ausgesprochen mühsam. Sie mussten von einem Erlenstamm zum nächsten springen und sich an umgestürzten, von glitschigem Moos überwucherten Baumstämmen vorbeiwinden. Das Wasser war voller Froschlaich, und als Renn einmal hineinfiel, war sie anschließend mit zähem Schleim bedeckt.
    Wieder und wieder musste sie sich in Erinnerung rufen, dass sie in einem ganz ähnlichen Wald aufgewachsen war. In der rissigen Borke einer Fichte entdeckte sie Zapfen, die Spechte hineingesteckt hatten, damit sie bequem die Samen herauspicken konnten, genau wie die Spechte im Weiten Wald. Neben einem Dachsbau war ein Laubhaufen aufgeschüttet: Die Dachse hielten Frühjahrsputz in ihrer Höhle und hatten ihr Winterbett nach draußen geschleppt. Alles vertraut, sprach sie sich selbst Mut zu.
    Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Die Bäume murmelten ihr zu, dass sie eine Fremde sei. Und die Spechte waren schwarz.
    Torak hatte etwas entdeckt.
    Neben einer Esche hatte jemand eine schlammige Mulde in den Boden gekratzt, ungefähr fünf Schritt breit, viel größer als jede Auerochsenkuhle. Wolf schnupperte eifrig. Dann schob Torak seine Schnauze beiseite, um einen riesigen runden Hufabdruck genauer zu untersuchen. »Vielleicht eine besonders große Auerochsenart?«, sagte er.
    Renn nickte. »Fin-Kedinn sagt, dass es hier Lebewesen gibt, die die Große Kälte überlebt haben. Ich glaube, man nennt sie Bisons.«
    Torak runzelte die Stirn. »Also sind sie Beute?«
    »Ich glaube schon, aber manchmal greifen sie auch an.«
    In einiger Entfernung rief eine Eule. Schu-hu – Schu-hu.
    Renn hielt die Luft an. Sie sah das starre hölzerne Gesicht der Adlereulenschamanin vor sich.
    Torak hatten denselben Gedanken. »Ob die beiden zusammenarbeiten?«, fragte er leise. »Thiazzi und Eostra?«
    Renn zögerte. »Ich weiß nicht so recht. Er ist sehr selbstsüchtig und möchte den Feueropal mit niemandem teilen. Außerdem hat mir Saeunn gesagt… na ja, sie war sich nicht sicher, aber sie vermutet, dass sich Eostra in den Bergen aufhält.«
    »Und trotzdem ist ihre Eule im Großen Wald«, sagte Torak.
    Renn schwieg. Sie beobachtete ihn, als er sich erhob und sich prüfend umsah. Sie konnte an seiner Miene erkennen, dass er durch nichts von seinem Ziel abzubringen war, ob Eostra sich nun hier befand oder nicht.

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