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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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und Wolf konnte nicht spüren, was er wollte.
    Der Geruch dieses Schwanzlosen war ganz besonders stark, wenn Wolf die Nase in die Wurzeln der Eibe steckte, doch er spürte, dass der Schwanzlose selbst verschwunden war. Vielleicht kletterte er auch auf Bäume. Wolf beschloss, in der Nähe zu bleiben, falls der Schwanzlose zurückkommen würde.
    Im Oben war das Helle Große Auge halb geöffnet und wachte schläfrig über seine vielen kleinen Welpen. Wolf verfolgte ein Wiesel, das ihm jedoch entwischte. Er fing eine Motte, musste aber niesen und spuckte sie aus. Und immer noch schliefen die Schwanzlosen ihren endlosen Schlaf.
    Plötzlich stellte Wolf lauschend die Ohren auf. Weiter unten im Tal krächzten die Raben. Sie hatten ein Tier gefunden, das Ohn-Hauch war, und wollten, dass Wolf kam und es aufriss, damit sie fressen konnten.
    Wolf blieb unschlüssig stehen. Er musste bleiben und die Schwanzlosen bewachen.
    Aber sein Magen knurrte.

Kapitel 13

    In der Nacht zeigten sich die anderen Bewohner des Waldes.
    Aus den Löchern der Eibe huschten Fledermäuse. Eine graue Eule ließ sich schwankend am Ende von Toraks Ast nieder und sah ihn mit ihren im Mondlicht glitzernden Augen an. Er schaute zurück, bis sie wegflog.
    Die Nacht war stürmisch, die Bäume waren hellwach.
    Genau wie Torak.
    Wer – oder was – hatte Renns Ausrüstung verwüstet? War es Bales rachsüchtiger Geist gewesen oder etwas anderes? Ein brennender Jäger mit Aschehaaren . Saeunns Prophezeiung konnte alles Mögliche bedeuten.
    Mühsam drehte er sich in dem Seil, das ihn eng am Baum festband, um und warf einen Blick zu Renn hinüber. War sie auch wach? Nein, sie schlief fest, zusammengerollt wie ein Eichhörnchen.
    Torak war ganz kribbelig vor Unruhe. Er brannte darauf, in diesen geheimnisvollen, verschwiegenen Wäldern nach Thiazzi zu suchen; seine Fährte wurde kalt. Nicht einmal Wolf würde sie noch lange wittern können.
    Zweige raschelten, als sich etwas Großes den Weg durchs Dickicht bahnte. Torak konnte zwar nichts erkennen, aber als das Wesen näher kam, hörte er Schmatzgeräusche und leises Schnauben. Dann trottete etwas Dunkles, groß wie ein Findling, unter ihm vorbei. Er erhaschte einen Blick auf ein mächtiges, buckliges Schulterpaket und einen enormen Schädel mit kurzen, halbmondförmigen Hörnern.
    Ein Bison .
    Er beobachtete, wie der Vierbeiner sich gegen den Stamm lehnte und sich so ausgiebig und genießerisch kratzte, dass der Eibenstamm schwankte. Dann zockelte das Tier mit einem tiefen, zufriedenen Grunzen davon.
    Kurz darauf sah Torak das vertraute Aufblitzen von Pferdeschweifen. Als die Herde vorbeizog, fiel sein Blick auf ein Fohlen, das auf wackligen Beinen unter dem Bauch der Mutter ging und saugte. Eine junge Stute knabberte in der Mähne einer älteren, deren von Narben übersäter Rumpf bezeugte, wie viele Jagden sie bereits überlebt hatte. Er betrachtete sie ehrfürchtig. Anders als die helleren Pferde des Weiten Waldes waren diese hier so schwarz wie eine mondlose Nacht.
    Renn murmelte im Schlaf vor sich hin und die Leitstute hob den Kopf. Dann glitt die heilige Herde wie ein Traum in die Dunkelheit.
    Nachdem die Pferde verschwunden waren, kam ihm der Große Wald noch einsamer vor. Torak wünschte, Wolf und die Raben würden zurückkommen.
    Der Wind blies zusehends stärker und die Bäume knarrten und ächzten. Er fragte sich, was sie wohl erzählen mochten. Wenn er ihre Sprache verstehen könnte, würden sie ihm vielleicht sagen, wo er Thiazzi finden konnte.
    Der Gedanke zog Kreise in seinem Geist wie ein Kiesel, der in einen stillen Waldteich fällt. Zu einem von ihnen werden. Die Seele auf Wanderschaft schicken.
    Er überlegte, ob er es wagen sollte. Von allen Wesen sind Bäume die geheimnisvollsten. Sie bergen das Feuer in sich, sie spenden Leben und ernähren sich doch nur vom Licht der Sonne. Als einziges Lebewesen wächst ihnen ein neues Glied, wenn das alte verloren geht. Manche von ihnen schlafen nie, während andere nackt den ärgsten Winter durchschlummern. Sie sind Zeugen des vergänglichen Lebens von Jäger und Beute, doch sie bleiben stumm.
    Torak nestelte seinen Medizinbeutel auf und fischte ein Stück der schwarzen Wurzel heraus, von der nicht einmal Renn wusste. Saeunn hatte ihm die Wurzel in die Hand gedrückt. Falls du sie einmal brauchst , hatte sie gesagt.
    Er kaute rasch. Ein bitterer Geschmack erfüllte seinen Mund. Die Wurzel war ungewöhnlich stark. Noch ehe er sie heruntergeschluckt

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