Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
11
»Tauch unter und schwimm zum Ufer zurück«, befahl Torak und verschwand selbst unter der Wasseroberfläche. Er konnte die Luftrohre in seinem Gürtel nicht finden. Dann musste er eben die Luft anhalten. Hoffentlich hatte Renn ihn gehört.
Glücklicherweise hatte sie seine Anweisung verstanden. Sie tauchte kurz nach ihm im Schilf auf. Sie bissen die Zähne aufeinander, damit sie nicht klapperten, und warteten.
Die Waldpferde hatten sie nicht bemerkt. Die grünen Männer lagen bäuchlings im Wasser und paddelten geräuschlos mit den Händen voran, die Messer zwischen den mit Holzkohle geschwärzten Zähnen.
Unweit von Torak zog sich Wolf ans Ufer und schüttelte geräuschvoll seinen Pelz.
Die Augen in den tätowierten Gesichtern drehten sich kurz zur Seite und blickten dann wieder geradeaus. Ein einsamer Wolf ging sie nichts an.
Das Schilf bot ihnen gute Deckung; Torak und Renn wagten es sogar, ans Ufer zurückzukriechen und ihre Ausrüstung zu holen. Torak war entsetzt. Das heimtückische Schwarzwasser hatte sie noch näher an das Auerochsenlager herangespült, nicht weg davon.
Nass bis auf die Knochen und vor Kälte schlotternd, fragte er sich, was er tun sollte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Auerochsen begriffen, dass man sie hereingelegt hatte. Sie würden zum Ufer kommen und ausschwärmen, um die unbekannten Eindringlinge zu jagen. Sie saßen in der Klemme, gefangen zwischen Auerochsen und Waldpferden.
Es sei denn, es gelang ihm, beiden Seiten ein Schnippchen zu schlagen.
»Geh flussabwärts«, zischte er Renn zu. »Warte hinter der Flussbiegung auf mich.«
Sie riss die Augen auf. »Was hast du vor?«
»Keine Zeit für Erklärungen! Nimm dich vor Fallen in Acht.«
Nachdem er Wolf angewiesen hatte, bei der Rudelgefährtin zu bleiben, schlich er in Richtung Auerochsenlager. Als er sich nicht mehr näher herantraute, ging er in die Hocke und zog rasch zwei Pfeile aus seinem Köcher. Dann nahm er sein Medizinhorn und beschmierte die Pfeilschäfte mit Erdblut. Er hatte keine Ahnung, was diese roten Äste für die Auerochsen bedeuten mochten, aber die Farbe war gut zu erkennen, und allein darauf kam es an.
Immer noch in der Hocke legte er den ersten Pfeil ein und wartete.
Er sah einen Jäger der Waldpferde ans Ufer kommen, völlig ruhig und kerzengerade aufgerichtet, damit das Wasser geräuschlos an ihm herabrann und nicht auf die Blätter tropfte.
Torak zielte. Er war bei Weitem kein so guter Schütze wie Renn, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sein Pfeil schlug ein ganzes Stück entfernt in eine Stecheiche ein.
Der tätowierte Kopf wandte sich um. Dann ging der Mann dem Pfeil hinterher.
Aus dem Augenwinkel sah Torak, wie einer der Auerochsen schnurstracks auf den Fluss zusteuerte. Sein Magen krampfte sich zusammen. Sie waren schneller, als er gedacht hatte. Er legte den zweiten roten Pfeil ein und traf einen anderen Baum.
Ohne abzuwarten, was weiter geschah, flüchtete er und rannte schnell und geduckt zu der Stelle, wo Renn ihn erwartete. Falls sie auf den Trick hereinfielen, würden beide Seiten zu den geheimnisvollen roten Pfeilen laufen und dann …
Hinter ihm gellten laute Schreie, Speere klirrten. Unbändige Freude durchzuckte Torak. Die Auerochsen lieferten sich einen Kampf mit den Waldpferden und er und Renn konnte den Fluss überqueren und nach Thiazzi suchen.
Renns dunkle Gestalt winkte ihn zwischen den dichten Föhren heran und er ergriff ihre Hand. Ihre Umklammerung war so heiß wie Asche, während sie ihn durch das Halbdunkel zu dem Versteck führte, das sie gefunden hatte: ein mächtiger hohler Eichenstamm.
Keuchend ließ er sich gegen den Baum sinken und stieß ein zittriges Lachen aus, als sie seine Hand losließ. »Das war wirklich knapp!«
Keine Antwort. Er war allein.
Zwanzig Schritte entfernt sprang Wolf aus einem Weidendickicht hervor, gefolgt von der tropfnassen und wütenden Renn. »Wo, im Namen des Weltgeistes, hast du denn gesteckt?«, flüsterte sie.
Kapitel 12
»Wer war das?«, zischte Torak.
»Wer war was?«, fragte Renn verständnislos. Sein Verschwinden hatte sie reichlich mitgenommen. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um sich nichts anmerken zu lassen.
»Jemand hat mich an der Hand genommen. Ich dachte, du bist das.«
»Da hast du dich getäuscht.«
Er ergriff ihre Hand. »Deine ist eiskalt, die andere war heiß.«
»Natürlich ist meine Hand kalt, ich bin klatschnass! Wo hast du denn gesteckt?«
Aus dem Auerochsenlager ertönten
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