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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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der allzeit wachsamen Kiefer. Esst die Weisheit des Waldes.«
    Als Torak an der Reihe war, schob er den Flachkuchen unauffällig in seinen Ärmel und tat nur so, als würde er einen Schluck aus der Schüssel nehmen. Immer wieder schob er die Hand unter den Zelteingang und spürte die kalte Nachtluft.
    Durrains wachsamer Blick wanderte über die Reihen.
    Torak erstarrte.
    Dann fing sie an, in gleichmäßigem, galoppierendem Rhythmus mit den Rasseln zu klappern. »Wald«, sang sie. »Du siehst alles. Du weißt alles. Keine Schwalbe sinkt, keine Fledermaus atmet, ohne dass du es weißt. Höre uns.«
    »Höre uns«, wiederholten die anderen.
    »Beende den Streit zwischen den Clans. Bring den hirschköpfigen Geist zurück in deine heiligen Täler.«
    Weiter und weiter ging das Singen und die galoppierenden Rasseln rasselten und immer noch beobachtete Durrain den Clan. Mitternacht war bereits vorüber, und Torak gab schon allmählich die Hoffnung auf, als sich Durrain, unversehens und ohne ihren Singsang zu unterbrechen, die Kapuze über das Gesicht zog. Die anderen taten es ihr nach.
    Während sich der Rotwildclan immer tiefer in Trance sang, schob sich Torak vorsichtig in Richtung Zeltausgang. Die Männer neben ihm waren unter dem dichten Geflecht ihrer Kapuzen allem bereits weit entrückt. Sie bemerkten nicht, dass er sich davonmachte.
    Draußen nahm er seine Waffen und lief den Pfad hinauf.
    Nicht lange und Rip und Rek stießen zu ihm herab und hießen ihn mit einem Begrüßungskrächzen willkommen. Krak-Krak. Wo bist du so lange gewesen?
    Wolf tauchte wie ein grauer Schatten auf und trabte neben ihm her. Der Gebissene. Nicht weit.
    Der schon halb verschlungene Mond ging langsam unter, es würde bald dämmern. Torak schritt schneller aus. Das Jagdfieber packte ihn. Er fühlte sich leichtfüßig und unbesiegbar, ein Jäger, der sich seiner Beute nähert. Genau so sollte es sein.
    Der Junge entkommt. So soll es sein.
    Drei Tage und drei Nächte lang hat die Auserwählte die Ungläubigen beobachtet, hat dem Willen des Gebieters gehorcht. Das Mädchen hat die Macht aus dem Bannpfahl verjagt, so einfach, als schüttete sie Wasser aus einem Eimer. Der Junge ruft die Raben aus dem Himmel und spricht mit dem großen grauen Wolf – und seine Seelen wandern.
    Der Junge hält sich für schlau, weil er der Spur des Gebieters zum Heiligen Hain folgt. Niemand folgt der Spur des Gebieters. Der Gebieter ruft und alle gehorchen. Sogar das Feuer gehorcht dem Gebieter.
    Der Wille des Gebieters muss erfüllt werden.

Kapitel 16

    Als der Morgen graute, waren ihm weder der Rotwildclan noch Renn gefolgt. Torak wünschte sich beinahe, sie hätten es getan. Bald würde nichts mehr zwischen ihm und seiner Rache stehen.
    Den ganzen Tag über folgte er dem Pfad am Windfluss entlang. Der flinke braune Wasserlauf hatte hier allerdings nur wenig Ähnlichkeit mit dem behäbigen breiten Strom, den er aus dem Weiten Wald kannte.
    Mit hängendem Schwanz und gesenktem Kopf trottete Wolf neben ihm her und sogar die Raben hatten die Jagd auf Schmetterlinge eingestellt. Das Jagdfieber war einer eigenartigen Bangigkeit gewichen.
    Das Tal verengte sich zu einer Schlucht, durch die der Fluss gurgelnd dahinschoss. Der trockene Südwind, der den ganzen Tag geweht hatte, hatte sich gelegt und war zu einem Flüstern geworden. Torak spürte ein Kribbeln im Rücken. Sie hatten den Fuß der Hohen Berge erreicht.
    Wolf beschnupperte einen Erdklumpen, den ein Pferdehuf aufgewirbelt hatte. Torak bückte sich, um ein langes schwarzes Schweifhaar genauer zu betrachten. Die frühlingsgrünen Blätter der Buchen und Birken über ihm leuchteten. Die Schwarzdornblüten schimmerten wie Schnee. Frischer Fichtenduft lag in der Luft, die Vögel schmetterten ihre Lieder aus voller Brust: Buchfinken, Grasmücken, Drosseln und Singhüpfer. Selbst der Ehrenpreis leuchtete in unwirklichem Blau, wie Blumen in einem Traum. Er hatte das Tal der Pferde erreicht.
    Wolf hob fragend den Kopf. Weitergehen?
    Ich muss , sagte Torak. Bleib hier. Es ist gefährlich.
    Wenn du musst, muss ich auch .
    Sie gingen weiter in den zuckenden Schatten.
    Torak fiel sofort auf, dass sich auf dem Pfad viele Huf- und Pfotenspuren abzeichneten, aber keine Stiefelabdrücke. Die Beute fürchtete ihn offenbar nicht, vermutlich war die Jagd hier verboten. Ein schwarzer Specht hüpfte rückwärts einen Ast entlang und suchte nach Ameisen. Er war so nahe, dass Torak die lange graue Zunge sehen konnte. Ein Reh

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