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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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äste im Zinnkraut. Torak hätte das raue braune Fell berühren können. Er kreuzte sogar den Weg einer Bärin, die schnuppernd nach Wurzeln suchte. Ohne die Schnauze zu heben, sah sie zu, wie er vorüberging.
    Die Schlucht wurde immer enger, die Birken wichen moosigen Fichten. Hier wehte kein Hauch mehr, die Vögel waren verstummt. Toraks Schritte dröhnten ihm mit einem Mal in den Ohren. Die Hand fuhr unwillkürlich zu seiner Schulter, dorthin, wo früher sein Totemtier gewesen war. Angst schnürte ihm die Kehle zu.
    Seit Bales Tod war er wie besessen davon gewesen, Thiazzi zu finden. Er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, was danach geschehen sollte. Mit einem Mal wurde ihm klar, was er vorhatte. Er wollte den stärksten Mann des Waldes töten.
    Er musste einen Menschen töten.
    Vielleicht hatte er Renn deswegen nicht mitgenommen. Er wollte nicht, dass sie dabei zusah. Aber jetzt fehlte sie ihm.
    Hinter ihm ertönte ein leises Flügelrauschen. Er drehte sich um und hoffte, dass es Rip und Rek waren. Stattdessen erblickte er einen Sperber auf einem Baumstumpf, der mit dem Schnabel auf die Brust einer kopflosen Drossel einhackte.
    Vielleicht sind die Raben verschwunden, weil sie wissen, was ich vorhabe, dachte Torak.
    Immerhin war Wolf noch bei ihm. Er sah ihn an und die klaren bernsteinfarbenen Augen hielten seinen Blick fest. Geh nicht weiter .
    Ich muss , gab Torak zurück.
    Es ist böse.
    Ich weiß. Aber ich muss trotzdem.
    Die Sonne ging unter und die Bäume schienen dichter an ihn heranzurücken. Der Fluss war nicht mehr zu sehen, Torak vernahm nur noch sein fernes, unterirdisches Rauschen. Nach einer Weile verstummte die Stimme des Wassers vollends.
    Hinter ihm rollte klappernd ein Stein herunter. Als er liegen blieb, umfing die Stille Torak noch enger, gerade so, als sei sie etwas Lebendiges.
    Der Pfad wand sich um eine Kurve und die Berge ragten mit einem Mal überraschend nahe vor ihm auf. Die Talwände schienen sich nach vorne zu neigen und den letzten Rest des verblassenden Sonnenlichts auszublenden. Ein paar Schritte weiter wuchsen die größten Stechpalmen, die er je gesehen hatte, in den Himmel und wiesen ihn wie Wachtposten zurück. Torak wusste, was hinter ihnen lag: der Heilige Hain, das Herz des Waldes.
    Manche Orte bewahren die Erinnerung an längst Vergangenes, andere wiederum besitzen eine eigene Seele. Torak spürte die Seele dieses Ortes wie ein lautloses Summen in den Knochen. Er zog das Medizinhorn seiner Mutter aus dem Beutel, schüttete Erdblut in seinen Handteller und betupfte sich damit Wangen und Brauen. Das Horn schien ebenso zu vibrieren wie das Summen in seinem Mark.
    Wolf bohrte ihm die Schnauze in die Hand. Er hatte die Ohren flach angelegt. Er war jetzt nicht mehr der Wächter, sondern Toraks Rudelgefährte. Und er hatte Angst.
    Torak kniete nieder und hauchte behutsam auf seine Schnauze, spürte das Zucken der Barthaare und den süßen, reinen Duft. Er durfte nicht zulassen, dass Wolf ihm weiter folgte, es war zu gefährlich. Er musste es alleine tun. Obwohl er sich hasste, weil er genau wusste, welche Verwirrung er dadurch stiften würde, befahl er Wolf, zu gehen.
    Wolf weigerte sich.
    Torak wiederholte den Befehl.
    Wolf lief verzweifelt im Kreis herum. Du darfst den Gebissenen nicht jagen!
    Geh , antwortete Torak.
    Wolf berührte sein Knie mit der Pfote. Gefahr! Wuff!
    Torak machte sein Herz stark. Geh!
    Wolf wimmerte ängstlich auf und lief in den Wald davon.
    Nun bist du ganz allein, dachte Torak. Er spürte die Nachtkälte aus der Erde aufsteigen. Er stand auf und verschwand in der Dunkelheit zwischen den Bäumen.

    Während Wolf in langen Sprüngen den Abhang hinaufraste, rangen Sorge und Angst in ihm. Das hier war ein schrecklicher Ort. Die Stechpalmen raunten ihm Warnungen zu, die er nicht verstand. Sie waren sehr, sehr alt und sie wollten ihn hier nicht haben.
    Auf einem Kamm oberhalb der Bäume kam er schlitternd zum Stehen. Der Wind trug ihm ein Gemisch unterschiedlicher Gerüche zu. Er roch das Helle-Tier-das-heiß-beißt, den Gebissenen und einen Hauch von Dämon. Er roch die Angst seines Rudelgefährten und seine Mordlust. Er wurde nicht von Jagdfieber getrieben, sondern von etwas Tieferem, Dunklerem. Es war Nicht-Wolf. Wolf konnte es nicht verstehen, aber er fürchtete sich davor. Und er hatte Angst um Groß Schwanzlos, denn er spürte es bis in die Fellspitzen, dass Groß Schwanzlos sterben musste, wenn er den Gebissenen angriff.
    Der Gebissene war stärker

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