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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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stand im kalten flachen Wasser und starrte ausdruckslos in die Dunkelheit.
    Sie konnte nicht glauben, dass Torak wirklich weg war. Es war ein Fehler. Es musste falsch sein. Bestimmt würde er jeden Augenblick zurückkommen und sich entschuldigen. »Du hast recht. Wir müssen sofort zum Weiten Wald aufbrechen.« Er würde sie doch nicht einfach hier zurücklassen!
    Aber so war es. Sie musste sich allein auf die lange gefährliche Reise machen.
    Dabei war sie sich ziemlich sicher, dass er nicht an Thiazzi herankommen würde. Wie auch, wenn der Eichenschamane den Großen Wald fest in der Hand hatte? Thiazzi würde ihn umbringen. Sie würde Torak nie wieder sehen.
    Ein Schilfrohr tippte ihr auf die Schulter und die Weiden raunten warnend. Sieh zu, dass du von hier wegkommst.
    Renn biss sich auf die Unterlippe und watete leise auf das nächstbeste Kanu zu. Als sie es ins Wasser schieben wollte, rührte es sich jedoch nicht von der Stelle. Sie versuchte es noch einmal, rutschte im Uferschlamm aus, aber dann kam das Boot schließlich doch mit einem Ruck los und klatschte ins flache Wasser.
    Rasch warf sie Köcher, Bogen und Stiefel hinein und sprang hinterher. Aber als sie das Paddel zum ersten Mal eintauchte, kippte der Einbaum jäh zur Seite und hätte sie fast hinausgeworfen. Sie paddelte panisch.
    Schattenhafte Jäger zogen sie zurück an Land.

    »Du hast dem Ausgestoßenen zur Flucht verholfen«, sagte die Anführerin der Waldpferde.
    »Stimmt.«
    »Wo ist er hin?«
    »Z-zurück in den Weiten Wald.«
    »Du stehst mit ihm im Bunde.«
    »Er ist mein Freund.«
    »Du hast dich mit ihm gegen den Großen Wald verbündet.«
    »N-nein.« Ihre Zähne klapperten. Die Kälte des Flusswassers drang ihr bis ins Mark, aber sie ließen sie nicht ans Ufer. Vernarbte Gesichter blickten im Halbkreis auf sie herab, hüllten sie in einen Gestank aus Talg, Rindenbast und Hass ein.
    »Du hast uns mit deiner Schamanenkunst vergiftet«, sagte die Anführerin der Waldpferde.
    »Nein.«
    »Du hast einen Schlaftrunk in unser Wasser gemischt.«
    Also hatte sie richtig vermutet. Aber wer hatte es getan und warum?
    »Du hast uns verhext!«
    Renn zögerte. Ihre Mutter war immer sehr geschickt darin gewesen, sich die Taten anderer zunutze zu machen. »Ich habe euch gewarnt. Ich bin Schamanin«, sagte sie tonlos. »Keiner von euch ist zu Schaden gekommen. Und so wird es bleiben – wenn ihr mich zum Auerochsenschamanen bringt.«
    Die Luft knisterte vor Angst und Hass. Renn hoffte inständig, dass die Angst der Jäger die Oberhand gewinnen würde.
    »Warum sollten wir das tun?«, wollte die Anführerin der Waldpferde wissen.
    »Der Auerochsenschamane genießt den Respekt aller hier im Wald«, sagte Renn überheblich. »Ich rede nur mit ihm.«
    »Du kannst hier keine Bedingungen stellen«, zischte die Anführerin.
    Renn überlegte rasch. »Respektieren die Waldpferde auf diese Weise die Waffenruhe?«, fragte sie. »Indem sie den Auerochsenschamanen missachten? Was würden die Auerochsen dazu sagen?«
    Jetzt war es an der Anführerin der Waldpferde, ihre Antworten gut zu bedenken.

    Die Hütte des Auerochsenschamanen hockte wie eine Kröte im Schutz einer umgestürzten Rottanne.
    Die Auerochsen hatten sie wieder mit verbundenen Augen hergebracht, zuerst auf dem Fluss und dann über Land. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, obwohl ihr der Geruch verriet, dass sie nicht weit vom verbrannten Land entfernt sein konnten.
    »Unser Schamane ist alt und gebrechlich«, hatten die Auerochsen sie gewarnt, bevor sie ihr die Augenbinde abgenommen hatten. »Du darfst ihn nicht ermüden. Und vergiss nicht, dass du nur zu ihm vorgelassen wirst, weil er es so wünscht.« Damit waren sie im Wald verschwunden und hatten sie allein vor der Hütte stehen lassen.
    Ihre Hände waren immer noch auf dem Rücken gefesselt. Die Taubnesselstricke waren feucht vom Tau. Vor ihr ragte die Wurzelscheibe des Baumes in die Luft, die nach Erde und fauligem Holz roch. Sie war mit Eulen- und Fledermausnestern durchsetzt, dazwischen hingen mit einem Spiralmuster versehene Auerochsenhörner. Von ihnen und von den ringsum stehenden Kiefern führten dünne Seile aus rotem Rindenbast bis zur Rauchöffnung der Hütte. Renn vermutete, dass es sich um Geisterleitern handelte, die dem Schamanen halfen, sich in die Welt der Geister zu begeben.
    Die Hütte selbst wirkte unerwartet freundlich. Ein wohlriechender Dunst entwich der Rauchöffnung und der Saum des Rindenbasttuches vor dem Eingang war mit

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