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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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»Vermutlich fängst du jetzt gleich an, mir zu beteuern, dass du es keinem weitererzählst.«
    Sie versuchte, nicht zu zittern. »Von wegen«, sagte sie.
    Seine Augen blitzten auf. »Es bringt dir nichts, so zu tun, als hättest du keine Angst.«
    Sie gab ihm keine Antwort.
    Mit einer Schnelligkeit, die für einen so großen Mann erstaunlich war, wechselte er auf ihre Seite des Feuers, hüllte sie mit raschelnden Blättern und einem beißenden Geruch nach Rottanne ein. Seine Hand legte sich um ihre Kehle: seine dreifingrige Hand. Grobe Stümpfe tasteten über ihre Haut, bis sie die Schlagader gefunden hatten. Er grinste, als er die Todesangst unter ihrer Haut pulsieren spürte. Er konnte ihr Genick wie einen jungen Baum brechen. Eine rasche Drehung und alles war zu Ende.
    Ihre Gedanken huschten wie Elritzen hin und her. Sag etwas. Irgendwas. »Der… der Feueropal«, keuchte sie.
    Aus dem Augenwinkel sah sie, wie seine freie Hand zur Brust fuhr. Bildete sie es sich ein oder war da ein Schatten über sein Gesicht gezuckt? Was konnte der Eichenschamane denn befürchten?
    Sie wagte einen Sprung ins Ungewisse. »Du hast es ihr nicht gesagt«, sagte sie.
    »Wem denn?«, erwiderte er eine Spur zu schnell.
    » Eostra «, flüsterte sie, und der Name machte ihre Stimme so kalt wie den Hauch aus einem Knochenhügel. »Du hast ihr nicht gesagt, dass du ihn hast. Aber sie weiß es. Die Eulenschamanin weiß alles. Sie ist schon hinter dir her.«
    Er fuhr sich mit seiner roten Zunge über die Lippen. »Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es. Ich habe die Gabe meiner Mutter.«
    »Deiner … Mutter?«
    »Verstehst du denn überhaupt nichts?« Sie suchte seinen Blick. »Die Natternschamanin. Ich trage ihr Mark in meinen Knochen … Ich weiß, was Eostra vorhat.«
    »Wie kann das sein? Du bist keine Schamanin!«
    »Ich weiß, dass der Seelenwanderer entkommen ist«, sagte sie, um ihn noch weiter zu verunsichern. »Ich weiß, dass deine Pläne zum Scheitern verurteilt sind. Was ist schiefgelaufen? Wer hat sich gegen dich gewandt?«
    Er schleuderte sie von sich. Sie stieß mit dem Kopf gegen den Türpfosten. Als sie benommen wieder hochkam, hörte sie ihn lachen.
    »Vielleicht ist es sogar besser so«, sinnierte er. »Vielleicht ist ein lebendiges Opfer wirkungsvoller als ein totes.«
    Dann zog er ein Messer aus dem Ärmel, dessen schartige Klinge so lang wie Renns Unterarm war. Sie wich ein Stück zurück, was er jedoch kaum bemerkte. Jetzt war keine Zeit für Spielchen mehr, er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Arbeit. Er riss eine Handvoll Geisterleitern durch das Rauchloch, zerschnitt sie, fesselte ihr mit den Stricken die Füße und knebelte sie mit brutaler Gewalt.
    »Ehe du stirbst, musst du noch etwas für mich tun«, hauchte er ihr aus nächster Nähe ins Gesicht. »Du lieferst mir den Seelenwanderer aus.«
    Sie schüttelte energisch den Kopf.
    »O ja. Du bringst ihn mir in den Heiligen Hain.«
    Er durchsuchte sie kurz und rücksichtslos und fand ihr Biberzahnmesser und die Hühnerknochenpfeife, schnitt den Medizinbeutel vom Gürtel und warf alles ins Feuer. Als Letztes, ehe er die Kapuze wieder über das Gesicht zog, nahm er ihren Bogen und brach ihn in der Mitte entzwei.

Kapitel 29

    Torak glaubte, Wolf auf der Uferböschung gesehen zu haben, aber als er rief, tauchte er nicht mehr auf. Auch die Raben ließen sich nicht blicken. Als wüssten sie, was er getan hatte, und wollten ihn dafür tadeln.
    »Aber ich habe Renn nicht im Stich gelassen«, sagte er. »Sie wollte nicht mit mir kommen.«
    Ein Windstoß kräuselte den Fluss und die Erlen schüttelten sich vorwurfsvoll. Eine knorrige Eiche sah ihn finster an, als er an ihr vorüberpaddelte.
    Er konnte immer noch nicht glauben, dass Renn sich von ihm getrennt hatte und in den Weiten Wald zurückgegangen war. Gewiss hatte sie es sich inzwischen anders überlegt und kam ihm nach. Aber wenn er in die Stille lauschte, hörte er keinen Einbaum herangleiten, sondern nur das Gurgeln des Wassers und das Seufzen schlummernder Bäume.
    Ihr passiert schon nichts, dachte Torak. Sie kann schließlich auf sich aufpassen.
    Aber ja, natürlich kann sie das, Torak. Warum sollte sie auch auf der Flucht vor feindlichen Clans und einem frei herumlaufenden Seelenesser mitten im Großen Wald deine Hilfe brauchen?
    In der Morgendämmerung hielt er an, machte eine kleine Pause und aß etwas. Alles erinnerte ihn an Renn. Die frühe Morgensonne zitterte auf einem Flecken voller

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