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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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trabenden Auerochsen verziert.
    »Komm rein«, sagte eine leise Stimme.
    Behindert durch die zusammengebundenen Hände, ging Renn etwas schwerfällig auf die Knie, schob das Basttuch mit der Nase zur Seite und rutschte nach drinnen.
    Das Feuer war recht klein, aber einladend. Darüber baumelten die roten Enden der Geisterleitern durch die Rauchöffnung herein und tanzten in der Hitze. Auf der anderen Seite des Feuers sah Renn ihren Bogen und die gestohlenen Pfeile neben einem Blätterhaufen liegen.
    Der Blätterhaufen bewegte sich. »Ich habe meine Leute weggeschickt«, keuchte eine Stimme so leise wie ein lauer Sommerwind in einem jungen Baum. »Wenn sich zwei Schamanen begegnen, so hört am besten kein anderer zu.«
    Renn verneigte sich ehrerbietig. »Schamane.«
    Sobald sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, sah sie, dass der Schamane völlig mit Blättern bedeckt war. Eine Schicht frischen Laubs nach der anderen – Stechpalme, Birke, Weide – verlieh seinem Umhang jeden erdenklichen Grünton. Auf seiner Brust hingen Stücke grasfarbenen Bernsteins an einer Schnur aus Nesselstängeln aufgereiht. Seine Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Renn konnte seine Augen nicht sehen, spürte jedoch, dass er sie musterte.
    »Warum störst du meine Gebete?«, murmelte er, wenn auch ohne Vorwurf.
    Renn überlegte, wo sie anfangen sollte. Wenn der Auerochsenschamane so gerecht war, wie allgemein behauptet wurde, und wenn er nicht völlig Thiazzis Zauber erlegen war, hatte sie vielleicht eine Chance. Wenn nicht…
    »Im Großen Wald hält sich ein Seelenesser auf«, platzte sie heraus.
    »Ein Seelenesser? «
    »Er heißt Thiazzi. Er hat die Auerochsen gegen die Waldpferde gehetzt, und jetzt bringt er sie dazu, den Weiten Wald anzugreifen.« Sie schluckte. Nachdem sie es ausgesprochen hatte, war sie mit einem Mal sehr erleichtert.
    Der grüne Umhang raschelte, als der Schamane die Hand nach einem Stock ausstreckte und in der Glut herumstocherte. Einige Weidenblätter am Saum kringelten sich in der Hitze zusammen, und Renn sah, wie ein Käfer sich hastig in Sicherheit brachte. »Das sind schlimme Neuigkeiten«, flüsterte der Schamane. »Wer ist dieser – Thiazzi? «
    Eine kleine Bernsteinperle fiel aus einer Falte seines Umhangs und rollte an den Rand des Feuers. Renn fragte sich, ob sie sie aufheben sollte. »Er ist der Schamane des Eichenclans«, sagte sie. »Er hat den Schamanen der Waldpferde umgebracht und gibt sich jetzt als ihr neuer Schamane aus. Der Schamane, mit dem du dich besprochen hast … ist nicht derjenige, für den du ihn hältst.«
    »Nicht?« Die Stimme klang belustigt. »Und … das hast du alles ganz allein herausgefunden?«
    »Ja«, log Renn.
    »Wer bist du?«
    »Ich bin Renn. Eine Schamanin des Rabenclans. Ich wollte die anderen warnen, aber sie haben nicht auf mich gehört.«
    »Und du bist hier, um die Seelenesser zu besiegen?«
    »Mit deiner Hilfe, Schamane.«
    »Aah«, seufzte der Schamane. Seine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug.
    Die Bernsteinperle zischte und glühte im Feuer. Renn stieg ein vertrauter Geruch in die Nase. Das ist kein Bernstein, dachte sie. Das ist Rottannenblut.
    »Um die Seelenesser zu besiegen«, sagte der Schamane, der plötzlich zu wachsen schien und fast schon die gesamte Hütte ausfüllte. Seine Brust hob und senkte sich vor Lachen, als er die Kapuze zurückwarf und seine rotbraune Mähne schüttelte. »Und wie«, sagte Thiazzi, »willst du das wohl anstellen?«

Kapitel 28

    Der Eichenschamane hatte es nicht eilig, sie zu töten.
    Er griff in den Ärmel seines Gewandes, zog eine Handvoll Rottannenkügelchen heraus und schob sie sich in den Mund. Renn sah zu, wie seine Zähne sie zermahlten. Sie bemerkte einen goldenen Fleck, der sich im Gestrüpp seines Bartes verfangen hatte. Mit einem Mal dämmerte ihr die Wahrheit: Thiazzi war nicht nur der Auerochsenschamane, sondern auch der Waldpferdschamane. Er hatte beide umgebracht und ihren Platz eingenommen, wobei er sich die Pferdemaske und die Zurückgezogenheit des Auerochsen zunutze gemacht hatte. Bald würde einer von beiden verschwinden und der andere allein regieren.
    Nur Renn kannte sein Geheimnis. Und er wusste, dass sie es kannte.
    Die gelben Zähne mahlten weiter. Die grünen Augen betrachteten sie träge.
    So wie sie vor ihm kniete, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, war sie ihm völlig ausgeliefert. Er spuckte einen Krümel ins Feuer und lächelte, als sie zusammenzuckte.

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