Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
an der Eiche baumelten.
Torak ging mit torkelnden Schritten zu einem Baum und übergab sich.
Es war alles seine Schuld. Durch seine Rachgier hatte er Renn in die Gewalt des Eichenschamanen gebracht.
Groß Schwanzlos war nur einen Satz entfernt, aber Wolf durfte nicht zu ihm. Etwas hielt ihn davon ab, als rauschte ein großes Flinkes Nass zwischen ihnen.
Groß Schwanzlos hatte die Lange-Klaue-die-fliegt der Rudelgefährtin in den Vorderpfoten gehalten; jetzt legte er sie vorsichtig in den Baum. Wolf witterte seine Angst und hinter der Angst seinen schrecklichen Blutdurst.
Es war der Blutdurst, der Wolf davon abhielt, sich ihm zu nähern. Ich muss den Gebissenen töten, hatte ihm Groß Schwanzlos einmal gesagt. Nicht weil er Beute ist oder weil es um ein bestimmtes Revier geht, sondern weil er den Schwanzlosen mit dem hellen Fell getötet hat.
Aber warum? So etwas tat kein Wolf. Das … das war Nicht-Wolf.
Kummer scharrte mit scharfen Krallen in Wolfs Magen. Er zerkratzte einen Ast. Er lief im Kreis umher.
Groß Schwanzlos hatte ihn gehört. Er hielt inne und heulte leise. Komm zu mir, Rudelgefährte. Ich brauche dich!
Wolf winselte. Und zog sich zurück.
Er musste daran denken, als er die weißen Wölfe im Großen Kalt gefunden und versucht hatte, ihrem Anführer von Groß Schwanzlos zu erzählen. Er hat keinen Schwanz, hatte Wolf gesagt, und er geht auf den Hinterläufen, aber er ist…
Dann ist er Nicht-Wolf, hatte der Leitwolf unnachgiebig erwidert.
Wolf hatte gewusst, dass der Leitwolf sich täuschte, aber er hatte nicht gewagt, ihm zu widersprechen.
Aber jetzt?
Groß Schwanzlos erhob sich auf seinen Hinterläufen und kam mit verstörtem Gesichtsausdruck auf Wolf zu. Warum kommst du nicht zu mir?
Sein Gesicht…
Von Anfang an hatte Wolf das flache, pelzlose Gesicht seines Rudelgefährten gemocht; aber wie er jetzt in der Dunkelheit vor ihm stand und es genau betrachtete, fiel ihm auf, wie sehr es sich von dem eines Wolfes unterschied. Die Augen von Groß Schwanzlos warfen das Licht des Hellen Weißen Auges nicht zurück, so wie es die Augen eines Wolfes tun.
Nicht wie ein Wolf.
Die Erkenntnis, die ihn schon seit so vielen Hell-und-Dunkeln verfolgte, traf Wolf mit der Wucht eines umstürzenden Baumes. Groß Schwanzlos war Nicht-Wolf.
Ein bislang unbekannter Schmerz bohrte sich in Wolfs Herz. Selbst damals nicht, in den Bergen, als er noch ein ganz junger Wolf war und Groß Schwanzlos ihm schrecklich gefehlt hatte, nicht einmal damals hatte er einen solchen Schmerz verspürt.
Groß Schwanzlos war Nicht-Wolf.
Nicht-Wolf.
Groß Schwanzlos war Nicht-Wolf.
Kapitel 31
Ich dachte, du weißt das, sagte Torak in der Wolfssprache.
Wolf wich mit einem gequälten Ausdruck in den Augen zurück.
Ach, Wolf, ich dachte, du weißt es längst.
Winselnd drehte sich Wolf um und rannte davon.
Torak lief hinter ihm her, brach durch das Gestrüpp. Es war hoffnungslos. Schon bald musste er, um Atem ringend, stehen bleiben. Rings umher entrollten Mehlbeeren ihre Blätter, um das Licht des Vollmondes einzufangen. Er heulte. Wolf heulte nicht zurück. Toraks Geheul verwandelte sich in ein Schluchzen. Wolf war weg. Für immer?
Die Bäume wiegten sich im Wind und flüsterten Beeil dich, beeil dich. Thiazzi hatte den Heiligen Hain womöglich schon erreicht. Vielleicht hatte er bereits ein neues Feuer geweckt und einen Brandpfahl in seine Mitte gerammt. Vielleicht zerrte er Renn gerade dorthin …
Torak rannte an der Hütte vorbei zu der Stelle, an der er den Einbaum zurückgelassen hatte. Er sprang hinein und paddelte flussaufwärts, wobei er den Fluss mit dem Paddel so bearbeitete, als wäre er Thiazzi. Er befand sich in einem endlosen Tunnel dunkler Bäume und mutloser Gedanken. Seinetwegen litt Wolf schreckliche Qualen. Seinetwegen befand sich Renn in der Gewalt des Eichenschamanen.
Das Schwarzwasser war unversöhnlich. Seine Muskeln brannten. Er verdiente es.
Durch die Bäume erblickte er den rötlichen Schimmer des Lagers der Stämme aus dem Großen Wald. Aber der Fluss war blockiert. Ein Netz aus Rindenfasern erstreckte sich von einem Ufer zum anderen.
Torak stieß das Paddel ins Wasser und trieb den Einbaum zurück. Sobald er außer Sichtweite war, lenkte er ihn zwischen einige Erlen ans Ufer und kletterte die Böschung hinauf. Auf dem Fluss kam er nicht mehr weiter. Ab hier musste er zu Fuß gehen. So würde er den Hain niemals rechtzeitig erreichen.
Plötzlich blieb er wie erstarrt stehen. Durch
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